In fast allen Bundesländern wurden Ende März/Anfang April 2020 aufgrund der Corona-Krise Allgemeinverfügungen auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 ArbZG erlassen.
Beispielhaft sei hier eine Verfügung aus Hessen genannt. Danach darf:
„1. Abweichend von § 3 ArbZG, u.a. in:
a) Not- und Rettungsdiensten sowie bei der Feuerwehr,
b) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Funktionsfähigkeit von Gerichten und Behörden und für Zwecke der Verteidigung,
c) in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen,
d) beim Rundfunk, bei Nachrichtenagenturen sowie bei den derTagesaktualität dienenden Tätigkeiten für andere Presseerzeugnisse, bei tagesaktuellen Aufnahmen auf Ton- und Bildträger,
e) in Verkehrsbetrieben,
f) in den Energie- und Wasserversorgungsbetrieben sowie in Abfall- und Abwasserentsorgungsbetrieben,
g) in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung sowie in Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren,
h) jm Bewachungsgewerbe und bei der Bewachung von Betriebsanlagen,
i) bei der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen,
die zulässige tägliche Arbeitszeit von über 18 Jahre alten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf maximal 12 Stunden pro Tag verlängert werden.“
Diese Ausnahmeregelungen gelten nicht für die § 6 ArbZG geregelte Nachtarbeit.
Zusätzlich wurde im „Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2“ der § 15 Abs. 4 ArbZG eingefügt. Danach kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ohne Zustimmung des Bundesrates in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen für Tätigkeiten der Arbeitnehmer für einen befristeten Zeitraum Ausnahmen zulassen, die über die vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen.– insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz. Diese Tätigkeiten müssen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig sein. In der Rechtsverordnung sind die notwendigen Bedingungen zum Schutz der Arbeitnehmer/-innen zu bestimmen.
Diese Rechtsverordnung wurde im April 2020 erlassen.
Danach darf abweichend von den §§ 3 und 6 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden. Dies gilt nur, soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann (§ 1 Abs. 1 der Rechtsverordnung).
Wird von den ermöglichten Abweichungen Gebrauch gemacht, darf die Arbeitszeit 60 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Die Wochenarbeitszeit darf in dringenden Ausnahmefällen auch über 60 Stunden hinaus verlängert werden, soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann. (§ 1 Abs. 3 der Rechtsverordnung)
Allerdings liegt mit der Regelung in § 15 Abs. 4 ArbZG ein Eingriff in die grundgesetzlich gesicherte Tarifautonomie vor. Der Gesetzgeber durfte zumindest bisher nicht zulasten der Koalitionsfreiheit Ausnahmen erlassen, die über die Regelungen in den Tarifverträgen hinausgehen bzw. diese aushebeln.
Die Rechtsverordnung darf nur bis zum 30. Juni 2020 angewendet werden.
Für alle Ausnahmeregelungen auf der Grundlage von §§ 14, 15 ArbZG gilt, dass die Regelungen nur dann greifen, wenn diese mit den tarifvertraglichen Bestimmungen, den betrieblichen und arbeitsvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeit vereinbar sind.
Arbeitgeber sind nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet (Urteil vom 14. Mai 2019), die Arbeitszeit mit einem objektiven, verlässlichen und für alle Beschäftigten zugänglichen technischen System zu erfassen und zu protokollieren. Denn nur so kann festgestellt werden, ob gegen Regelungen aus dem Arbeitszeitgesetz zum Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten verstoßen wird.