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Arbeitszeit

Die Frage, wie viele Stunden man pro Werktag maximal arbeiten darf, ist für alle Arbeitnehmer*innen bedeutsam. Zusätzliche Brisanz erhält sie in Krisenzeiten, wenn Arbeitgeber versuchen, ihre Beschäftigten zu extralangen Schichten einzuteilen. Wir erläutern nachfolgend die wesentlichen Zusammenhänge.

 

Rechtsgrundlagen hierfür sind Art. 6 RL 2003/88/EG und § 3 Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Danach dürfen Beschäftigte werktäglich acht, maximal zehn Stunden arbeiten. Grundsätzlich darf die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann nur dann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Monaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

§ 3 ArbZG ist ein sog. „Verbotsgesetz“. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden:
„Die Vorschrift (§ 3 ArbZG) begründet ein gesetzliches Beschäftigungsverbot, aufgrund dessen es dem Arbeitgeber untersagt ist, Arbeitsleistungen in einem die gesetzlichen Höchstgrenzen übersteigenden Umfang anzuordnen oder entgegenzunehmen.“ (BAG vom 20.11.2018, Aktenzeichen 9 AZR 327/18)

§ 3 ArbZG meint den Werktag und nicht (wie § 9) den Kalendertag. Maßgeblich für die Berechnung der werktäglichen Arbeitszeit sind der tatsächliche Arbeitsbeginn und das tatsächliche Arbeitsende der/des einzelnen Beschäftigten innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums („individueller Werktag“).

Ziel der Regelung ist es, die Arbeitsbelastung der konkreten Arbeitseinsätze zu begrenzen und vor Überforderung zu schützen. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit muss grundsätzlich eine Ruhezeit von elf Stunden eingehalten werden (§ 5 ArbZG).

Ja, das Arbeitszeitgesetz sieht Abweichungsmöglichkeiten vor: Nach den §§ 7, 12 ArbZG sind Abweichungen von der werktäglichen Arbeitszeit in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zulässig.

In § 6 Abs. 5 TVöD ist zum Beispiel eine Öffnungsklausel für die Betriebsparteien enthalten:
„Aus dringenden betrieblichen/dienstlichen Gründen kann auf der Grundlage einer Betriebs-/Dienstvereinbarung im Rahmen des § 7 Abs. 1, 2 und des § 12 ArbZG von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes abgewichen werden.“

Die Abweichungen von der werktäglichen Arbeitszeit sind aber an Bedingungen zum Schutz der Beschäftigten geknüpft. Zum Beispiel sind Ausnahmeregelungen nach § 7 Abs. 2 ArbZG nur möglich, wenn der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer*innen durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet ist. Der Zeitausgleich ist zwingend und kann nicht durch andere Leistungen, wie z.B. Zeitzuschläge, ersetzt werden.

Von den Grundregelungen zur werktäglichen Arbeitszeit darf nach § 14 ArbZG u.a. bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen der Betroffenen eintreten und deren Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, abgewichen werden – besonders wenn Rohstoffe oder Lebensmittel zu verderben oder Arbeitsergebnisse zu misslingen drohen oder wenn es sich um unaufschiebbare Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen handelt.

§ 14 ArbZG gilt aber nur:

  • … in Notfällen („unvorhergesehene, ungewöhnliche und plötzlich eintretende Ereignisse“) oder außergewöhnlichen Fälle („eine besondere unvorhersehbare und vom Willen des Betroffenen unbeeinflussbare vorübergehende Situation“) und
  • … wenn keine Abweichung zum Beispiel durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung möglich ist.

Es geht um vorübergehende Arbeiten von wenigen Tagen. Die Tätigkeiten und der Umfang der Arbeit müssen auf das notwendigste und geringstmögliche Maß beschränkt werden.

Ob die Voraussetzungen für ein Abweichen von den Arbeitszeitvorschriften vorliegen, muss der Arbeitgeber in eigener Verantwortung feststellen. Verletzt der Arbeitgeber dabei seine Sorgfaltspflicht, so handelt er ordnungswidrig und begeht gegebenenfalls sogar eine Straftat (§§ 22, 23 ArbZG).

Die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Ländern können darüber hinaus weitergehende Abweichungen zulassen, soweit diese im öffentlichen Interesse dringend nötig werden (§ 15 ArbZG).

Eine solche Ausnahmegenehmigung kann aber nur erfolgen,

  • … wenn keine Abweichungen zum Beispiel durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung möglich sind
  • … wenn eine Ausnahme im öffentlichen Interesse nötig ist, was dann der Fall ist, wenn ohne die Ausnahmeregelung der Allgemeinheit oder einem erheblichen Teil der Bevölkerung ein nicht nur geringfügiger Schaden droht.

Werden Ausnahmen nach § 15 ArbZG zugelassen, darf die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht überschreiten.

In fast allen Bundesländern wurden Ende März/Anfang April 2020 aufgrund der Corona-Krise Allgemeinverfügungen auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 ArbZG erlassen.

Beispielhaft sei hier eine Verfügung aus Hessen genannt. Danach darf:
„1. Abweichend von § 3 ArbZG, u.a. in:
a) Not- und Rettungsdiensten sowie bei der Feuerwehr,
b) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Funktionsfähigkeit von Gerichten und Behörden und für Zwecke der Verteidigung,
c) in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen,
d) beim Rundfunk, bei Nachrichtenagenturen sowie bei den derTagesaktualität dienenden Tätigkeiten für andere Presseerzeugnisse, bei tagesaktuellen Aufnahmen auf Ton- und Bildträger,
e) in Verkehrsbetrieben,
f) in den Energie- und Wasserversorgungsbetrieben sowie in Abfall- und Abwasserentsorgungsbetrieben,
g) in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung sowie in Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren,
h) jm Bewachungsgewerbe und bei der Bewachung von Betriebsanlagen,
i) bei der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen,
die zulässige tägliche Arbeitszeit von über 18 Jahre alten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf maximal 12 Stunden pro Tag verlängert werden.“

Diese Ausnahmeregelungen gelten nicht für die § 6 ArbZG geregelte Nachtarbeit.

Zusätzlich wurde im „Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2“ der § 15 Abs. 4 ArbZG eingefügt. Danach kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ohne Zustimmung des Bundesrates in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen für Tätigkeiten der Arbeitnehmer für einen befristeten Zeitraum Ausnahmen zulassen, die über die vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen.– insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz. Diese Tätigkeiten müssen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig sein. In der Rechtsverordnung sind die notwendigen Bedingungen zum Schutz der Arbeitnehmer/-innen zu bestimmen.

Diese Rechtsverordnung wurde im April 2020 erlassen.

Danach darf abweichend von den §§ 3 und 6 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden. Dies gilt nur, soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann (§ 1 Abs. 1 der Rechtsverordnung).

Wird von den ermöglichten Abweichungen Gebrauch gemacht, darf die Arbeitszeit 60 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Die Wochenarbeitszeit darf in dringenden Ausnahmefällen auch über 60 Stunden hinaus verlängert werden, soweit die Verlängerung nicht durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann. (§ 1 Abs. 3 der Rechtsverordnung)

Allerdings liegt mit der Regelung in § 15 Abs. 4 ArbZG ein Eingriff in die grundgesetzlich gesicherte Tarifautonomie vor. Der Gesetzgeber durfte zumindest bisher nicht zulasten der Koalitionsfreiheit Ausnahmen erlassen, die über die Regelungen in den Tarifverträgen hinausgehen bzw. diese aushebeln.

Die Rechtsverordnung darf nur bis zum 30. Juni 2020 angewendet werden.

Für alle Ausnahmeregelungen auf der Grundlage von §§ 14, 15 ArbZG gilt, dass die Regelungen nur dann greifen, wenn diese mit den tarifvertraglichen Bestimmungen, den betrieblichen und arbeitsvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeit vereinbar sind.

Arbeitgeber sind nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet (Urteil vom 14. Mai 2019), die Arbeitszeit mit einem objektiven, verlässlichen und für alle Beschäftigten zugänglichen technischen System zu erfassen und zu protokollieren. Denn nur so kann festgestellt werden, ob gegen Regelungen aus dem Arbeitszeitgesetz zum Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten verstoßen wird.

Hier gelten die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsschutzgesetzes und die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zur Gestaltung der Arbeitszeit. Das bedeutet: Werden auf der Grundlage eines Tarifvertrags oder von Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen Abweichungen zur werktäglichen Arbeitszeit nach § 3 ArbZG vereinbart oder Ausnahmeregelungen in einer behördlichen Verfügung oder der Rechtsverordnung des BMAS verfügt, müssen für diese Arbeitszeitmodelle Gefährdungsbeurteilungen nach §§ 5, 6 ArbSchG durchgeführt werden und (soweit erforderlich) spezielle Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz für die betroffenen Arbeitnehmer*innen entwickelt werden.

Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei muss er eine Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten anstreben (§ 3 ArbZG).

Und auch in der durch Corona bedingten Situation hat der Arbeitgeber nach § 4 ArbSchG die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden wird und die verbleibende Gefährdung möglichst gering ist.

Auch die EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 sieht Abweichungen von der werktäglichen Arbeitszeit zulasten der Beschäftigten nur unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer*innen vor (Art. 17 RL 2003/88).

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer*innen zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

Wie bereits oben ausgeführt, darf nach § 3 ArbZG die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden nicht überschritten werden. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. § 3 ArbZG schließt somit 12-Stunden-Arbeitstage/-Dienste aus.

Soll die Arbeitszeit aufgrund eines Tarifvertrags, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung, einer behördlichen Verfügung oder der Rechtsverordnung des BMAS auf zwölf Stunden ausgedehnt werden, muss dennoch der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten gewährleistet werden.

Allerdings ist eine Arbeitszeitdauer von mehr als acht Stunden bzw. sind Dienstpläne mit 12-Stunden-Diensten/-Schichten aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten nicht empfehlenswert. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht ist eine 12-Stunden-Schicht eine besondere Herausforderung für die Gesundheit der Beschäftigten. Eine längere Arbeitszeitdauer als acht Stunden sollte deshalb in Abhängigkeit von den jeweiligen physischen und psychischen Arbeitsanforderungen und Belastungen nicht in Betracht gezogen werden.

Mit der Verlängerung der Arbeitszeit auf über acht Stunden steigen auch das Unfallrisiko (insbesondere bei Wegeunfällen vom Arbeitsort nach Hause) sowie die Anfälligkeit für Erkrankungen drastisch.

12-Stunden-Schichten sind selbst aus Arbeitgebersicht nicht empfehlenswert, da die Arbeitseffizienz und Produktivität sinkt.

Ja, alle Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz oder/und der Änderung von Arbeitszeit- und Dienstplänen (z.B. bei der Anordnung von Überstunden) unterliegen der Mitbestimmung der gesetzlichen Interessenvertretung (siehe § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG, § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG analog LPersVG, § 40d MVG-EKD, § 29 Abs. 1 Nr. 2 MAVO). Soll von den Regelungen des ArbZG abgewichen werden, sollten Betriebs- oder Dienstvereinbarungen über die Zulässigkeit sowie die betrieblichen Voraussetzungen zur vorübergehenden Einführung von Ausnahmeregelungen abgeschlossen werden, verbunden mit speziellen Regelungen zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten.

Keinesfalls sollten sich gesetzliche Interessenvertretungen ihr Recht auf Mitbestimmung bei der Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit aus der Hand nehmen lassen. Es gilt gerade in der „Corona-Krise“, die Beschäftigten vor zusätzlichen Belastungen zu schützen. Der Personalrat des Universitätsklinikums Essen hat bereits von seinem Mitbestimmungsrecht Gebrauch gemacht und zum Schutz der Beschäftigten 12-Stunden-Schichten abgelehnt. Näheres dazu gibt es hier.

Redaktioneller Stand: April 2020

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