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Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis

Aus dem Arbeitsvertrag ergeben sich nicht nur Leistungs-, sondern auch Verhaltenspflichten. Arbeitnehmer/-innen sind in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert und der Arbeitgeber ist aufgrund des Direktionsrechts berechtigt, die Arbeitsbedingungen einseitig zu gestalten. Der Arbeitgeber ist deshalb gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch dazu verpflichtet, auf ihre Rechte, Rechtsgüter und Interessen Rücksicht zu nehmen und das Arbeitsverhältnis in sozialer Weise auszugestalten.

Der Arbeitgeber hat seine Rechte aus dem Arbeitsverhältnis so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der Interessen der gesamten Belegschaft möglich ist. Die Fürsorgepflicht beginnt bereits in der Phase der Arbeitsvertragsverhandlungen (z.B. Bestehen einer Aufklärungspflicht über die zu erwartenden Verhältnisse oder die Erstattung von Bewerbungskosten bei einer Einladung zum persönlichen Vorstellungsgespräch) und erstreckt sich auch auf die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (z.B. Freistellung zwecks Stellensuche, Aufklärung über sozialversicherungsrechtliche Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Erteilung von Arbeitspapieren und wohlwollendem Zeugnis).

Die allgemeine Fürsorgepflicht beinhaltet Schutz-, Sorgfalts- und Auskunftspflichten. 

Schutz- und Sorgfaltspflichten
Die Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers umfasst sämtliche Vorkehrungen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer/-innen im Rahmen des Geschäftsbetriebs, z.B. Instandhaltung der Geschäftsräume und Unfallverhütung, aber auch sorgfältigen Umgang mit im Eigentum des Arbeitnehmers stehenden Sachen (z.B. Bewerbungsunterlagen). Zu den Schutzpflichten gehört beispielsweise das Bereitstellen von Schutzkleidung, der Schutz der personenbezogenen Daten der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers, aber auch die Verhinderung von Überanstrengung der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers, die Wiedereinstellung nach Ruhen des Arbeitsverhältnisses, ein tabakrauchfreier Arbeitsplatz oder die Versetzung aufgrund eines ärztlichen Attests, wenn die bisherige Arbeit nicht mehr verrichtet werden kann. 

Auskunftspflichten
Aufklärungs- und Hinweispflichten sind regelmäßig das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Der Arbeitgeber hat unaufgefordert über alle Umstände zu informieren, die der/dem Arbeitnehmer/-in unbekannt, aber für Entscheidungen im Zusammenhang mit der Durchführung des Arbeitsvertrags erheblich sind. Der Arbeitgeber ist zur Aufklärung verpflichtet, wenn Gefahren für das Leistungs- oder Integritätsinteresse bestehen, von denen die/der Arbeitnehmer/-in keine Kenntnis hat. Allerdings darf die Aufklärungs- und Informationsverpflichtung keine übermäßige Belastung des Arbeitgebers begründen. Je größer das für den Arbeitgeber erkennbare Informationsbedürfnis der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers und je leichter dem Arbeitgeber die entsprechende Information möglich ist, desto eher ergeben sich Auskunfts- und Informationspflichten für den Arbeitgeber.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften, die er zwecks Erbringung der Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen hat, so einzurichten und zu unterhalten, dass die/der Arbeitnehmer/-in gegen Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, wie die Natur des Betriebs und der Arbeit es gestatten. Der Arbeitgeber ist auch verpflichtet, die Dienstleistungen – beispielsweise durch Erlass einer Betriebsordnung – zu regeln. Bei einer erhöhten Gefahr für die Gesundheit besteht eine besondere Aufklärungspflicht des Arbeitgebers. Insbesondere hat der Arbeitgeber die/den Arbeitnehmer/-in vor Überanstrengung zu bewahren, er darf daher keine unangemessene Arbeitsleistung fordern oder wissentlich entgegennehmen. Die Fürsorgepflichten sind jedoch begrenzt durch die Art des Betriebs, die Möglichkeiten der Technik wie auch der Wirtschaftlichkeit und der Produktion.

Fürsorgepflichten bestimmen sich nach Verkehrsauffassung und betrieblicher Übung. Die Fürsorgepflicht steigert sich bei besonders schutzwürdigen Arbeitnehmer(innen)gruppen (z.B. Schwangere, Jugendliche, Schwerbehinderte), langjährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses oder besonderen Vertrauensstellungen. Eine bestehende Fürsorgepflicht hindert den Arbeitgeber aber nicht, seine Interessen mit gesetzlich zulässigen Mitteln wahrzunehmen. Finanzielle Aufwendungen, bedingt durch die Fürsorgeverpflichtung, sind dem Arbeitgeber nur in möglichst kostengünstiger Weise zumutbar. Insoweit gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die/Der Arbeitnehmer/-in hat bei Verletzungen der Fürsorgepflicht grundsätzlich einen – ggfs. gerichtlich geltend zu machenden – Erfüllungs- bzw. Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Daneben ist sie/er bei nicht nur geringfügigen und kurzzeitigen Verstößen berechtigt, ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich ihrer/seiner Arbeitsleistung geltend zu machen. Die/Der Arbeitnehmer/-in muss auf ihr/sein Zurückbehaltungsrecht hinweisen und dem Arbeitgeber Gelegenheit zur Abhilfe geben. Besteht ein Zurückbehaltungsrecht und wird es ordnungsgemäß ausgeübt, behält die/der Arbeitnehmer/-in trotz Nichtleistung ihren/seinen Vergütungsanspruch. Verletzt der Arbeitgeber (oder sein Erfüllungsgehilfe) schuldhaft die ihm obliegende Fürsorgepflicht, ist er zum Schadensersatz verpflichtet. Grundsätzlich ist auch die Geltendmachung von Schmerzensgeld möglich. Nicht erforderlich ist, dass eine Gefahr für Leben und Gesundheit besteht, ein arbeitsschutzwidriger Zustand ist ausreichend. Bei erheblichen Verletzungen der Fürsorgepflicht, die eine weitere Erbringung der Arbeitsleistung unzumutbar machen, kann die/der Arbeitnehmer/-in kündigen. 

Für bei der Arbeit erlittene Sachschäden der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber nur im Falle seines Verschuldens einzutreten. Ihn trifft aber dann eine weiter gehende Haftung, wenn ein ungewöhnlicher Sachschaden in Vollzug einer gefährlichen Arbeit entstanden ist oder wenn der Arbeitgeber von der Arbeitnehmerin/vom Arbeitnehmer den Einsatz eigener Sachgüter erwartet hat und sonst Betriebsmittel hätte zur Verfügung stellen müssen. 

Bei den eingebrachten Sachen ist zwischen persönlich unentbehrlichen Sachen, unmittelbar arbeitsdienlichen, aber nicht notwendigen Sachen, mittelbar arbeitsdienlichen Sachen und nicht mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Sachen zu unterscheiden. Wenn die/der Arbeitnehmer/-in selbst keine Vorsorge treffen kann, trifft den Arbeitgeber für alle außer den nicht mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Sachen eine Obhut- und Verwahrungspflicht. Der Arbeitgeber hat für die unentbehrlichen Sachen (z.B. Kleidung, Fahrkarten, angemessener Geldbetrag) sowie für die unmittelbar arbeitsdienlichen Sachen (z.B. Fachbücher, Werkzeuge) geeignete Verwahrmöglichkeiten zu schaffen, da er damit rechnen muss, dass die/der Arbeitnehmer/-in diese mit in den Betrieb bringt. Stellt der Arbeitgeber keine angemessene Verwahrmöglichkeit zur Verfügung, kann er bei Verlust oder Schädigung auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

Bezüglich der mittelbar arbeitsdienlichen Sachen (z.B. zwecks Anreise genutzte Beförderungsmittel wie Fahrrad oder Auto) hat der Arbeitgeber eine Obhuts- und Verwahrungspflicht, wenn ihm diese nach Treu und Glauben billigerweise zuzumuten ist. Das BAG hat bisher stets offen gelassen, ob der Arbeitgeber zur Bereitstellung von Abstellmöglichkeiten verpflichtet ist. Dies hängt jeweils von einzelnen Faktoren ab: Erreichbarkeit der Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Möglichkeit und Aufwand für die Schaffung der Parkmöglichkeiten oder anderweitig zur Verfügung stehende Parkmöglichkeiten. Stellt der Arbeitgeber einen Parkplatz zur Verfügung, trifft ihn hierfür eine Verkehrssicherungspflicht. Der Arbeitgeber muss dann für ausreichende Beleuchtung, Erfüllung der Streupflicht, ausreichende Weite der Abstellfläche und die Absicherung gegen den fließenden Verkehr sorgen. 

Nein, die Fürsorgepflicht kann von den Arbeitsvertragsparteien nicht ausgeschlossen werden. Sie ist zwingender Bestandteil eines jeden Arbeitsverhältnisses.

Die besonderen Fürsorgepflichten des Arbeitgebers beim Arbeits- und Gesundheitsschutz bestehen weiterhin und sind nicht aufgehoben. Der Arbeitgeber muss u.a. dafür sorgen, dass Erkrankungsrisiken und Gesundheitsgefahren im Betrieb so gering wie möglich sind und die Beschäftigten vor Ansteckungsgefahren geschützt werden (Bundesgerichtshof vom 30. November 1978 – III ZR 43/77). Das Arbeitsschutzgesetz und spezielle Verordnungen nennen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten, die aufgrund von Gefährdungen durch ihre jeweilige Tätigkeit entstehen. Je nach Art des Betriebs (viel Kontakt mit Patientinnen, Bewohnern oder Kundinnen …) hat der Arbeitgeber die Pflicht, u.a. Desinfektionsmittel, Handschuhe, Schutzmasken zur Verfügung zu stellen (oder auch Plexiglasscheiben an der Kasse zu installieren). Zudem hat der Arbeitgeber die Beschäftigten über Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, die einzuhaltenden Hygienemaßnahmen und Schutzvorkehrungen ausreichend und angemessen zu unterweisen. Das bedeutet, dass den Beschäftigten in ihrer Arbeitszeit erklärt werden muss, wie sie Ansteckungsrisiken minimieren und ihre Gesundheit schützen können.

Gibt es im Betrieb/in der Dienststelle einen Betriebs- oder Personalrat, muss dieser über die aktuellen Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten informiert werden (§ 80  Abs. 2 BetrVG und § 68 BPersVG, analog Personalvertretungsgesetze). Darüber hinaus besteht ein Mitbestimmungsrecht (§ 87  Nr. 7 BetrVG und § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG, analog Personalvertretungsgesetze).

In der momentanen Situation ist der jeweiligen Interessenvertretung zu empfehlen, die Gefährdungslage im Betrieb sehr schnell und bis zum Ende der Corona-Krise regelmäßig mit dem Arbeitsschutzausschuss nach § 11 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) sowie dem Arbeitgeber zu beraten. Ziele sollten dabei sein: Aktualisierung bestehender Gefährdungsbeurteilungen für die von Corona betroffenen Arbeitsbereiche, zügige Entwicklung von Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten, Klärung der Art und Weise der Unterweisung der Beschäftigten sowie die effektive Überprüfung der eingeleiteten Schutzmaßnahmen.

Redaktioneller Stand: März 2020

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