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Schwerbehinderung – besonderer Kündigungsschutz

Menschen mit Behinderung sind Beschäftigte wie alle anderen im Betrieb. Sie dürfen gegenüber Kolleg*innen ohne Behinderung nicht benachteiligt werden. Schließlich ist sich die freie Welt spätestens seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der UNO darin einig, dass Behinderungen keine Eigenschaften von Menschen sind. Sie bestehen vielmehr in physischen oder sozialen Barrieren, die so weit wie möglich abgeschafft werden sollten.

Ein Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis mit einer Person mit Behinderung kündigen, wenn die Voraussetzungen für eine betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Kündigung vorliegen. Es gibt aber einige Regelungen, die schwerbehinderte Beschäftigte und Gleichgestellte besonders schützen.

Voraussetzung ist nach dem neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) grundsätzlich, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich besteht. In der Regel ist dazu ein Bescheid des Versorgungsamts notwendig, in dem ein Grad der Behinderung von mindestens 50 festgestellt wird.

Hat das Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von 30 oder 40 festgestellt, ist zusätzlich ein Bescheid der Agentur für Arbeit notwendig, durch den die Person mit Behinderung mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wird. Dieser Bescheid muss bei der zuständigen Arbeitsagentur beantragt werden. Diese stellt die Gleichstellung nur fest, wenn die betroffene Person infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten kann. Gibt die Arbeitsagentur dem Antrag statt, wird die Gleichstellung mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam.

Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind auch Jugendliche mit Behinderung und junge Erwachsene während der Zeit ihrer Berufsausbildung in Betrieben und Dienststellen oder einer beruflichen Orientierung, auch wenn der Grad der Behinderung weniger als 30 beträgt oder kein Grad der Behinderung nicht festgestellt wurde. Der Nachweis der Behinderung wird durch eine Stellungnahme der Agentur für Arbeit oder durch einen Bescheid über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Die Gleichstellung gilt aber nur für Leistungen des Integrationsamts im Rahmen der beruflichen Orientierung und der Berufsausbildung.

Während bei Gleichgestellten unbedingt erforderlich ist, dass die Arbeitsagentur die Gleichstellung verfügt hat, liegt eine Behinderung auch ohne Feststellungsbescheid vor. Der Bescheid des Versorgungsamts ist nämlich nur deklaratorisch, wie Jurist*innen sagen. Demgegenüber ist der Gleichstellungsbescheid der Arbeitsagentur konstitutiv. Die Agentur stellt also nicht nur fest, sondern stellt durch ihren Bescheid Menschen mit Behinderung Schwerbehinderten gleich.

Erforderlich für den Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen ist aber, dass

  • entweder bereits vor der Kündigung durch das Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von mindestens 50 festgestellt wurde,
  • oder die*der Beschäftigte den Antrag auf Feststellung einer Behinderung mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt hat und das Versorgungsamt später feststellt, dass spätestens zum Zeitpunkt der Kündigung bereits ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorgelegen hat. Das gilt aber dann nicht, wenn die*der Betreffende die verspätete Feststellung selbst verschuldet hat (fehlende Mitwirkung),
  • oder die Schwerbehinderung offensichtlich ist. Das ist etwa der Fall, wenn der*dem Betroffenen ein Bein oder ein Arm fehlt. Erforderlich ist, dass deutlich erkennbar ist, dass eine körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung besteht, für die gemäß der Anlage zur Versorgungsmedizinverordnung ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt.

Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) schreibt vor, dass Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen bei der Auswahl der*des Beschäftigten die Schwerbehinderung berücksichtigen müssen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG).

Das neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) regelt Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Hier gibt es auch einige Besonderheiten zum Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen und Gleichgestellter (§§ 168–175 SGB IX). Allerdings gelten diese Vorschriften nicht für schwerbehinderte Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat (§ 173 Abs. 1 SGB IX). Auch Beschäftigte, die das 58. Lebensjahr vollendet und zugleich Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder eine ähnliche Leistung aufgrund eines Sozialplans haben, haben diesen besonderen Kündigungsschutz nicht.

Bevor ein Arbeitgeber einer schwerbehinderten oder gleichgestellten Person kündigt, muss das Integrationsamt der Kündigung zustimmen (§ 168 SGB IX).

Neben dem Betriebs- bzw. Personalrat muss der Arbeitgeber auch die Schwerbehindertenvertretung beteiligen, bevor er einer*m schwerbehinderten Beschäftigten oder Gleichgestellten kündigt (§ 168 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Eine besondere Regel gilt auch für Kündigungsfristen: Schwerbehinderte oder Gleichgestellte haben eine Kündigungsfrist von mindestens vier Wochen (§ 169 SGB IX).

Eine Kündigung, die ein Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten Menschen oder Gleichgestellten ausspricht, bevor das Integrationsamt zugestimmt hat, ist unwirksam. Allerdings nicht automatisch! Der*die betroffene Arbeitnehmer*in muss innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam (§ 7 KSchG). Nachdem die Drei-Wochen-Frist abgelaufen ist, ohne dass der*die Arbeitnehmer*in Klage erhoben hat, gibt es ausnahmsweise die Möglichkeit, Klage auf nachträgliche Zulassung der Klage beim Arbeitsgericht zu stellen. Erforderlich ist, dass der*die Arbeitnehmer*in nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm*ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Der Antrag ist nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig. Nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann der Antrag nicht mehr gestellt werden.

Wer also vorher klagen kann, sollte das tun!

Das Integrationsamt hat nur ein eingeschränktes Ermessen hinsichtlich der Zustimmung (§ 172 SGB IX). Nach dem Gesetz erteilt es die Zustimmung bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen.

Unter der gleichen Voraussetzung soll es die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden, wenn die Gesamtzahl der weiterhin beschäftigten schwerbehinderten Menschen zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht (§ 154 SGB IX) ausreicht.

Damit hat das Integrationsamt auch bei betriebsbedingten Kündigungen in der Regel die Zustimmung zu erteilen, wenn der Betrieb oder die Dienststelle nur einen Teil des Personals entlässt. Ob die Sozialauswahl in Ordnung ist, prüft das Integrationsamt jedoch nicht. Das ist Aufgabe des Arbeitsgerichts im Kündigungsschutzverfahren.

Erfüllt der Arbeitgeber bzw. die Dienststelle nach der Entlassung der*des betreffenden Beschäftigten die gesetzliche Beschäftigungspflicht (in der Regel wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Schwerbehinderung), hat das Amt nur ein Soll-Ermessen. Nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte ist das Ermessen gebunden. „Sollvorschriften“ sind für Behörden rechtlich zwingend. Sie müssen so verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Nur bei atypischen Umständen darf eine Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und dann Ermessen ausüben.

Zu beachten ist, dass das SGB IX ein Fürsorgegesetz ist, das dem Ausgleich besonderer Nachteile von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dient. Das Integrationsamt soll einen ermessensgerechten Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen der beschäftigten Person und des Arbeitgebers finden.

Von besonderer Bedeutung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) für den behinderungsbedingten Kündigungsschutz die Kündigungsgründe, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. In diesem Bereich bedarf der*die schwerbehinderte Arbeitnehmer*in des besonderen Schutzes. Er*Sie soll nicht wegen der besonderen Gefahren, denen er*sie wegen seiner*ihrer Behinderung ausgesetzt ist, gegenüber gesunden Arbeitnehmer*innen ins Hintertreffen geraten.

Bei der Ausübung des besonderen Kündigungsschutzes trifft das Integrationsamt eine Ermessensentscheidung, die nur durch Sinn und Zweck des SGB IX gebunden ist. Diese Entscheidung erfordert eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse der*des Arbeitnehmer*in an der Erhaltung ihres*seines Arbeitsplatzes. Bei dieser Abwägung muss das Integrationsamt berücksichtigen, ob und inwieweit die Kündigung die durch das körperliche Leiden bedingte besondere Stellung des Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben berührt. (vgl. OVG Berlin-Brandenburg vom 28. März 2007 – OVG 6 B 14/06, Rn. 22).

  • Wenn der Arbeitgeber innerhalb der ersten sechs Beschäftigungsmonate kündigt (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
  • Bei Beschäftigten, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung aufgrund eines Sozialplans haben, wenn der Arbeitgeber die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprochen wurde.
  • Bei Beschäftigten, die Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung oder auf Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer*innen des Bergbaus haben, wenn der Arbeitgeber die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprochen wurde.
  • Bei Aufhebungsverträgen.
  • Befristete Arbeitsverhältnisse enden nach Ablauf der Befristung, ohne dass das Integrationsamt zustimmen muss.

 

Ferner ist eine Zustimmung nicht nötig bei Beschäftigten auf Stellen, die nach dem Gesetz keine Arbeitsplätze sind (§ 156 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 SGB IX). Das sind

  • Personen, deren Beschäftigung in erster Linie nicht dem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt sind, und Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften,
  • Personen, deren Beschäftigung in erster Linie nicht dem Erwerb, sondern vorwiegend der Heilung, Wiedereingewöhnung oder Erziehung dient,
  • Personen, die an Maßnahmen nach SGB III teilnehmen,
  • Personen, die nach ständiger Übung in ihre Stellen gewählt werden.

Wer mit der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung nicht einverstanden ist, kann binnen eines Monats Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen.

Über den Widerspruch entscheidet dann ein Widerspruchsausschuss, der prüft, ob der Bescheid des Integrationsamts rechtlich korrekt ist.

Der Ausschuss setzt sich in der Regel aus sieben Mitgliedern zusammen, jeweils zwei von Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeberseite. Hinzu kommen eine Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen sowie Vertreter*innen der Bundesagentur für Arbeit und des Integrationsamts.

Einen negativen Widerspruchsbescheid kann die*der Betroffene binnen einer Frist von einem Monat mit einer Klage beim Verwaltungsgericht angreifen.

Zu beachten ist jedoch, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung allerdings keine aufschiebende Wirkung haben (§ 171 Abs. 4 SGB IV).

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat zum Ziel, u.a. Benachteiligungen wegen einer Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen. Eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderung durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten (§ 7 Abs. 3 AGG).

Ergreift etwa der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung am Arbeitsplatz, sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist (§ 14 AGG). Das berechtigt den Arbeitgeber dann nicht, wegen Arbeitsverweigerung zu kündigen. Allerdings ist das sehr sensibel zu handhaben. Menschen mit Behinderung, die aufgrund ihrer Behinderung Diskriminierungen ausgesetzt sind, sollten unbedingt zuvor andere Maßnahmen wählen.

Betroffene haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen ihrer Behinderung benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der*dem Beschäftigten mitzuteilen (§ 13 AGG).

Der Arbeitgeber kann auch verpflichtet sein, Schadensersatz zu leisten. Es zahlt sich auf jeden Fall aus, wenn man Mitglied einer Gewerkschaft ist: Betroffene Beschäftigte sollten sich im Fall von Diskriminierung am Arbeitsplatz bei ihrer Gewerkschaft beraten lassen. Eine ungerechtfertigte Arbeitsverweigerung stellt nämlich grundsätzlich einen Kündigungsgrund dar.

Kündigt der Arbeitgeber wegen Arbeitsverweigerung, weil ein*e behinderte*r Beschäftigte*r aufgrund von Diskriminierung die Arbeitsleistung verweigert, muss binnen drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben werden. Ansonsten ist die Kündigung rechtswirksam.

Redaktioneller Stand: Oktober 2025

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