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Überlastungsanzeige

In vielen Branchen erkaufen Unternehmen ihre Wirtschaftlichkeit mit Personalabbau und unbesetzten Stellen. Häufig prägen dann wachsender Leistungs- und Verantwortungsdruck den Alltag des Personals. Bei massiver Überlastung können Beschäftigte Sach- oder Personenschäden verursachen, die arbeits-, straf- oder zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Eine Überlastungsanzeige bietet Beschäftigten die Möglichkeit, auf personengefährdende Situationen aufmerksam zu machen und sich im Rahmen etwaiger Haftungsansprüche entlasten zu können.

Die Überlastungsanzeige ist zunächst ein Begriff aus dem Arbeitsrecht, der weder in einem Gesetz noch in einem Tarifvertrag explizit erwähnt oder näher definiert ist. Ständiger Personalmangel, neue Aufgaben, Defizite des Arbeitgebers bei der Organisation des Personaleinsatzes oder andauernde Mehrarbeit erhöhen die Arbeitsbelastungen und führen Beschäftigte an ihre Leistungs- und Belastbarkeitsgrenzen. Dies kann Fehler in der Erledigung der Arbeitsaufgaben verursachen und negative Folgen für alle Beteiligten haben – für Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten oder Bewohner*innen, für den Betrieb und für die Beschäftigten selbst.

Führt eine Arbeitsüberlastung zu einem Schaden, können daraus finanzielle Ersatzansprüche oder arbeitsrechtliche Maßnahmen zulasten der Beschäftigten entstehen. Um dies zu vermeiden, hat sich die Überlastungsanzeige gegenüber dem Arbeitgeber als Instrument der Entlastung der Beschäftigten vor den Folgen von Gefahrensituationen entwickelt. Die Überlastungsanzeige dient auch dazu, den Arbeitgeber deutlich auf die Gefahren für Leib oder Leben der Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten oder Bewohner*innen hinzuweisen. Der Arbeitgeber hat dann die Aufgabe, entsprechende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr einzuleiten. Die Überlastungsanzeige speist sich folglich rechtlich aus Teilen des Arbeitsschutzgesetzes, des Arbeitsvertrags (Nebenpflichten) und des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB, Haftungsrecht) oder aber auch aus Tarifverträgen, die zur Entlastung der Beschäftigten abgeschlossen wurden.

Sie ist der schriftliche Hinweis an den Arbeitgeber oder unmittelbare Vorgesetzte über potenzielle Schädigungen und Gefährdungen der Kundinnen und Kunden, Patienten und Patientinnen oder Bewohner*innen, des Unternehmens oder der Beschäftigten durch eine vorliegende Überlastung aufgrund von personeller Unterbesetzung, organisatorischer Mängel oder mangelhafter Arbeitsbedingungen.

Die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung in einer konkret zu beschreibenden Situation ist aufgrund der genannten Punkte gefährdet, Schäden für die Beteiligten sind zu befürchten.

Aus Eigenschutz vor strafrechtlichen, arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Konsequenzen – zur eigenen Entlastung und zum Schutz der Beteiligten und des Unternehmens.

Ja. Sie resultiert unter anderem aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (§§ 611, 611a BGB und §§ 241 Abs. 2, 242 BGB). Danach sind Beschäftigte verpflichtet, den Arbeitgeber vor drohenden Schäden zu bewahren, vor deren Eintritt zu warnen und darüber hinaus auf organisatorische Mängel oder Überschreiten der zulässigen Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) aufmerksam zu machen. Das Arbeitsschutzgesetz konkretisiert diese Nebenpflichten (ArbSchG). Die Beschäftigten haben nämlich die Pflicht, Sorge zu tragen für ihre eigene Sicherheit und Gesundheit und für die der Personen, die von Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind (§ 15 ArbSchG).

Wenn absehbar ist, dass die Arbeit aus eigener Kraft nicht mehr so zu leisten ist, dass Schäden, arbeits- oder andere vertragliche Verletzungen ausgeschlossen werden können. Bezüglich des Zeitpunkts der Abgabe der Überlastungsanzeige hilft auch hier das Arbeitsschutzgesetz. Die Beschäftigten haben die Pflicht, dem Arbeitgeber oder zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare, erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich, also ohne schuldhafte Verzögerung nach Feststellen der Gefahr zu melden (§ 16 Abs. 1 ArbSchG). Grundsätzlich gilt: Der Arbeitgeber muss eine Reaktionszeit haben, um der Überlastungssituation abzuhelfen.

Folgende Punkte können oder sollten in einer Überlastungsanzeige aufgeführt werden:

  • Datum
  • Namen der Beschäftigten
  • betroffene Station, betroffener Wohn- oder Betreuungsbereich
  • konkrete Beschreibung der Situation in den jeweiligen Bereichen: kritische Situationen wie fixierte unruhige Patientinnen bzw. Patienten oder Bewohner*innen, besondere Auffälligkeiten
  • Anzahl der zu betreuenden Patientinnen bzw. Patienten oder Personen, Pflegestufen, Pflegeaufwand, Mindestbesetzung, notwendige Besetzung und tatsächliche Anzahl der Pflegekräfte/Beschäftigten/Auszubildenden oder Praktikanten bzw. Praktikantinnen unter Angabe der Qualifikation
  • Benennung der konkreten Überlastungsmerkmale: keine Pausen, zu lange Arbeitszeiten, Schilderung der Ursachen zu hoher Arbeitsbelastung, mangelnde Personalausstattung
  • dienstliche Folgen: bereits erfolgte Beschwerden der Patientinnen und Patienten, Bewohner*innen oder Angehörigen, Pflegestandards können nicht mehr eingehalten, Versorgung kann nicht mehr garantiert werden
  • persönliche Folgen: häufige Erkrankungen aufgrund von Stress oder Überlastung in der Vergangenheit
  • Aufzählen der Arbeiten, die nicht erledigt werden können oder vorrangig vorgenommen werden
  • vorheriger ergebnisloser telefonischer Hinweis an den Arbeitgeber
  • Begehren auf unverzügliche Abhilfe der Situation durch den Arbeitgeber
  • Verknüpfung mit Qualitätsmanagement
  • Unterschrift

Je nach Bedarf und betrieblichen Gegebenheiten kann die Überlastungsanzeige weitere Inhalte haben. Wichtig ist, die Situation so konkret wie möglich zu beschreiben. Im betrieblichen Alltag ist zu empfehlen, ein Formular zu entwickeln, das häufig wiederkehrende Situationen beschreibt und schnell auszufüllen ist.

Zur eigenen Absicherung ist es empfehlenswert, selbst eine Kopie aufzubewahren. Der Arbeitgeber muss dafür Sorge tragen, dass die Anzeigen aufbewahrt werden. Sachlich richtig wäre die Aufbewahrung in der Personalakte oder in entsprechenden Sachakten, die zentral geführt werden. Die Anzeige dient als Beweis bei einem eingetretenen Schaden und damit verbundenen, geltend gemachten Ansprüchen der Betroffenen. Deshalb sollte vor Ort eine Regelung über die Aufbewahrung getroffen werden. Die Überlastungsanzeige ist eine Urkunde im Sinne des Strafgesetzbuchs und darf deshalb auch nicht ohne Einwilligung der betroffenen Beschäftigten vernichtet werden.

Nein. In der Praxis gibt es dafür auch diese Begriffe:

  • Entlastungsanzeige – sie dient der Entlastung der Beschäftigten im Schadensfall
  • Gefahrenanzeige – sie macht auf mögliche Gefahren aufmerksam
  • Qualitätsanzeige – sie gibt Hinweise darauf, dass festgelegte Qualitätsstandards nicht eingehalten werden können.

 


Da der Begriff „Überlastungsanzeige“ nicht geschützt ist, sind die Beschäftigten in der Wahl der Überschrift der kritischen Situationsbeschreibung frei.

Redaktioneller Stand: März 2022

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