Wissen für BR, PR, JAV, MAV + SBV

Überstunden – darf's ein bisschen mehr sein?

Arbeitszeit ist die Zeit, in der Arbeitnehmer*innen dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen. Arbeitsfreie Zeit zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass Arbeitnehmer*innen in diesem Zeitraum dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen (Thüringer Landesarbeitsgericht vom 16.05.2018 – 6 Sa 442/17). Die Arbeitszeit beginnt in der Regel mit Betreten und endet mit Verlassen des Betriebsgeländes. Diese Grenzen der zu erbringenden Arbeitszeit werden u.a. bestimmt durch das Arbeitszeitgesetz, durch Tarifverträge und Regelungen in Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen. Doch oft genug kommt es vor, dass Arbeitnehmer*innen über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus weiterarbeiten (müssen), sei es, weil Vorgesetzte es verlangen oder weil die zu erledigende Arbeit in der normalen Arbeitszeit einfach nicht zu schaffen ist. Dann leisten Arbeitnehmer*innen Überstunden bzw. Mehrarbeit. Wann und in welchem Umfang sind Arbeitnehmer*innen zur Leistung von Überstunden verpflichtet?

Das Arbeitszeitgesetz dient der Sicherung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer*innen. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten. Als Werktage i.S.d. ArbZG gelten die Tage von Montag bis Freitag sowie der Samstag. Die Arbeitszeit kann bis auf zehn Stunden am Tag nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden pro Werktag gearbeitet werden. § 3 ArbZG ist ein Verbotsgesetz (BAG vom 20.11.2018 – 9 AZR 327/18). Die Vorschrift begründet ein gesetzliches Beschäftigungsverbot, aufgrund dessen es dem Arbeitgeber untersagt ist, Arbeitsleistungen in einem die gesetzlichen Höchstgrenzen übersteigenden Umfang anzuordnen oder entgegenzunehmen.

Eine Erhöhung der Arbeitszeit über die Grenzen des § 3 ArbZG hinaus ist auf der Grundlage von Tarifverträgen oder Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen zulässig (§ 7 ArbZG). Solange sich die Arbeitszeit in diesem Rahmen bewegt, ist auch die Anordnung von Überstunden oder Mehrarbeit gesetzlich zulässig. Eine Verlängerung der werktäglichen Arbeit in außergewöhnlichen Fällen (§ 14 ArbZG) kommt nur in Betracht, wenn diese außergewöhnlichen Fälle unabhängig vom Willen der Betroffenen eintreten. Ein struktureller und dauerhafter Personalmangel reicht dafür nicht aus (BayVGH vom 28.10.1993 – 22 B 90.3225).

§ 18 ArbZG regelt lediglich, für wen das Arbeitszeitgesetz nicht gilt, nämlich nicht für

  • leitende Angestellte
  • Chefärzt*innen
  • Leiter*innen von öffentlichen Dienststellen und deren Vertretungen
  • Arbeitnehmer/-innen im öffentlichen Dienst, die zu selbstständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt sind
  • Arbeitnehmer/-innen, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen
  • den liturgischen Bereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften
  • Beamt*innen, Soldat*innen und Richter*innen – hier gelten Spezialgesetze wie z.B. § 72 Bundesbeamtengesetz
  • Personen unter 18 Jahren – hier gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz.

Für alle anderen Beschäftigten gilt das Arbeitszeitgesetz.

Tarifverträge regeln die Vergütung von Überstunden und Ansprüche auf Überstundenzuschläge. Gilt kein Tarifvertrag, ist die Überstundenvergütung eventuell einzelvertraglich geregelt.

In arbeitsgerichtlichen Verfahren passiert es immer wieder, dass der Arbeitgeber zum einen die Leistung der Überstunden an sich als auch deren Anordnung, Duldung oder Billigung bestreitet. Arbeitnehmer*innen sollten sich daher im Klaren darüber sein, dass sie in diesem Fall beweispflichtig sind. Sie haben darzulegen, dass sie Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten haben. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, haben Arbeitnehmer*innen weiterhin vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat (BAG vom 04.05.2022 – 5 AZR 359/21).

Wichtig ist, dass man sich nicht einfach darauf verlässt, arbeitgeberseitig werde die Bezahlung schon übernommen. Man sollte in der Lage sein, erforderlichenfalls nähere Angaben zu den Überstunden machen zu können, also darlegen können, an welchen Tagen man von wann bis wann Arbeit geleistet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (vgl. BAG vom 15.05.2012 – 5 AZR 347/11). Am besten ist es, wenn man die Überstunden genau erfasst, also aufschreibt, an welchen Tagen und zu welchen Stunden sie anfielen.

Das Aufschreiben allein reicht jedoch nicht aus. Den entsprechenden Beleg sollte man vom Arbeitgeber bzw. den zuständigen Vorgesetzten (Meister*in, Abteilungsleitende usw.) gegenzeichnen lassen. Es genügt auch die Abgabe des Belegs bei der zuständigen betrieblichen Stelle, etwa der Personalabteilung (vorher eine Kopie anfertigen!).

Gut ist es auch, wenn die Überstunden technisch durch Systeme zur Arbeitszeiterfassung dokumentiert werden. Nichtsdestotrotz sind Arbeitnehmer*innen auch hier darlegungs- und beweispflichtig, dass die technisch erfassten Stunden geleistet und die Überstunden ausdrücklich oder konkludent vom Arbeitgeber angeordnet wurden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG vom 04.05.2022 – 5 AZR 359/21) schließt leider weiterhin eine mögliche Beweislastumkehr zu Gunsten der Arbeitnehmer*innen aus (dann müsste der Arbeitgeber beweisen, dass keine Überstunden angeordnet und angefallen sind).

Empfehlung: Es sollten in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung Regelungen aufgenommen werden, dass die von den Beschäftigten technisch erfasste Arbeitszeit als tatsächlich geleistete Stunden anerkannt werden und Überstunden/Mehrarbeit vom Arbeitgeber angenommen sind, wenn im Abrechnungszeitraum von der unmittelbaren Führungskraft kein Widerspruch eingelegt und begründet wird.

Die Ableistung von Überstunden kann abgelehnt und verweigert werden, wenn keine tarifvertragliche, betriebliche (Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung) oder arbeitsvertragliche Verpflichtung besteht. Der Arbeitgeber darf nämlich nur in diesem rechtlichen Rahmen Weisungen erteilen (§ 106 GewO). Darüber hinaus ist Voraussetzung, dass die gesetzliche Interessenvertretung im Rahmen ihrer Mitbestimmungsrechte bei der Anordnung von Überstunden beteiligt wurde und den Überstunden zugestimmt hat. Auch ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz würde eine Verweigerung von Überstunden rechtfertigen.

Die Anordnung von Überstunden muss darüber hinaus auch immer dem Grundsatz der sogenannten Billigkeit (§ 315 BGB) entsprechen, d.h. der Arbeitgeber muss vor der Anordnung die beiderseitigen Interessen abwägen. Im Interesse der Beschäftigten ist es in der Regel, keine Überstunden zu leisten, da dies eine Einschränkung ihres Privatlebens bzw. ihrer arbeitsfreien Zeit bedeutet. Leider ist es für Arbeitnehmer*innen nicht immer leicht, tatsächlich die Unwirksamkeit der Anordnung von Überstunden feststellen zu können, deshalb sollte vor einer Verweigerung der Leistung von Überstunden im Zweifel Rechtsrat eingeholt oder Kontakt zum Betriebs-/Personalrat aufgenommen werden.

Lehnen Arbeitnehmer*innen die Ableistung von Überstunden ab, die tarifvertraglich, individualrechtlich, betriebsverfassungs- oder personalvertretungsrechtlich zulässig angeordnet wurden, kann – jedenfalls nach Abmahnung – sogar eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt sein. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur im Ausnahmefall bei besonders gravierenden und beharrlichen Fällen von Arbeitsverweigerung in Betracht.

Voraussetzung für die Anordnung von Überstunden sind tarifvertragliche, betriebliche (Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen) oder/und einzelvertragliche Regelungen. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber die arbeitszeitrechtlichen und zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer*innen bestehenden Regelungen im Arbeitszeitgesetz beachten. Voraussetzungen für die zulässige Anordnung von Überstunden ist weiterhin, dass die gesetzliche Interessenvertretung der Anordnung von Überstunden zustimmt.

Weigern sich Arbeitgeber, Überstundenentgelt und tarif- oder einzelvertraglich vereinbarte Überstundenzuschläge zu zahlen, sind Arbeitnehmer*innen gezwungen, gegen den Arbeitgeber zu klagen und ihren Anspruch sowie die Anordnung von Überstunden zu beweisen. Das macht es in der Praxis leider sehr schwer. Hilfreich wären eindeutige betriebliche Regelungen zur Begrenzung von Überstunden, eine technische Arbeitszeiterfassung und die Anerkennung von geleisteten Überstunden durch den Arbeitgeber.

Redaktioneller Stand: November 2022

© ver.di Bildung + Beratung Gem. GmbH

nach oben