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Urteile

Betriebsrat kann Präsenzschulung vorziehen

Orientierungssätze

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz müssen Arbeitgeber die Kosten für notwendige Betriebsratsarbeit zahlen. Dazu gehören Schulungen, die für die Arbeit im Betriebsrat erforderlich sind. Eingeschlossen sind auch Übernachtungs- und Verpflegungskosten für auswärtige Präsenzseminare. Das kann selbst dann gelten, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet.

  • Gericht

    Bundesarbeitsgericht vom 07.02.2024
  • Aktenzeichen

    7 ABR 8/23

Der Rechtsstreit

Arbeitgeberin ist eine Luftverkehrsgesellschaft mit Sitz in Düsseldorf. Für die Mitarbeiter*innen im Flugbetrieb ist bei dieser Gesellschaft durch Tarifvertrag eine Personalvertretung gegründet worden, für die das Betriebsverfassungsgesetz gilt. In die Personalvertretung sind im Februar 2021 zwei neue Mitglieder nachgerückt. Diese haben im August 2021 an einer Betriebsratsschulung in Potsdam teilgenommen.

Die Arbeitgeberin hat zwar die Seminargebühren übernommen, nicht aber die Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Der Anbieter der Schulungsveranstaltung hatte zur selben Zeit ein Webinar angeboten, das die gleichen Inhalte wie das Präsenzseminar in Potsdam vermittelt hat. Die Arbeitgeberin meint, dass die Mitglieder der Personalvertretung daran hätten teilnehmen können, was Übernachtungs- und Verpflegungskosten erspart hätte.

Der Betriebsrat hat einen Spielraum bei der Entscheidung, zu welchen Seminaren er seine Mitglieder entsendet
Die Personalvertretung hat vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin alle Kosten zu tragen hat. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Arbeitgeberin verpflichtet, auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu tragen. Hiergegen hat sie Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt, allerdings ohne Erfolg.

Das BAG weist darauf hin, dass die Personalvertretung ebenso wie ein Betriebsrat einen gewissen Spielraum hat, wenn sie beurteilt, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet. Dieser umfasse grundsätzlich auch das Format der Schulung, so das BAG in seiner Entscheidung vom Februar 2024. Dem stehe nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar aufgrund von Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer*innen höhere Kosten anfielen als bei einem Webinar.

Der Kommentar

Eine Besonderheit dieses Verfahrens ist, dass es sich um Kabinenpersonal einer Fluggesellschaft handelt. Für die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer*innen der Luftfahrtunternehmen sieht das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nämlich vor, dass eine Vertretung durch Tarifvertrag errichtet werden kann, der möglicherweise Regelungen enthält, die vom BetrVG abweichen.

In der bis Ende 2018 geltenden Fassung der entsprechenden Vorschrift (§ 117 BetrVG) war ein Tarifvertrag Voraussetzung dafür, dass das BetrVG für das fliegende Personal galt. Weil diese Regelung offensichtlich gegen eine Richtlinie der Europäischen Union verstieß, sieht die Neufassung der Vorschrift vor, dass das BetrVG auf im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer*innen von Luftfahrtunternehmen anzuwenden ist, wenn keine Vertretung durch einen Tarifvertrag errichtet ist. Im vorliegenden Fall gilt ein Tarifvertrag. Dieser verwendet den Begriff „Personalvertretung“ statt „Betriebsrat“. Für die hier entscheidenden Rechtsfragen weicht der Tarifvertrag nicht vom Gesetz ab. 

Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt vor, dass der Arbeitgeber die notwendigen Kosten der Betriebsratsarbeit zu tragen hat
Der Entscheidung des BAG ist in vollem Umfang zuzustimmen. § 37 Absatz 2 BetrVG bestimmt, dass Mitglieder des Betriebsrats von ihrer Arbeitspflicht bezahlt freizustellen sind, „wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist“. Gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG gilt das auch für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, falls diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. § 40 BetrVG schreibt vor, dass der Arbeitgeber die insoweit notwendigen Kosten zu tragen hat.

Arbeitgeber wenden häufig ein, dass eine Schulung nur insoweit erforderlich sein kann, wie notwendigerweise Kosten entstehen. Daraus folgern sie, dass sie nur die Kosten der günstigsten Schulung übernehmen müssten. Das BAG weist in seinen Urteilen regelmäßig darauf hin, dass dem Betriebsrat bei der Frage, ob und inwieweit eine Schulung erforderlich sei, ein gewisser Beurteilungsspielraum zustehe. Die Pflicht des Arbeitgebers, die Kosten zu tragen, werde aber durch das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat begrenzt.

Kosten sind nicht erforderlich, wenn sich der Betriebsrat vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen kann
Der Betriebsrat sei verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er für angemessen halten dürfe. Er habe darauf bedacht zu sein, die durch seine Tätigkeit verursachten Kosten auf das notwendige Maß zu beschränken. Daher dürfe er die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nicht für erforderlich halten, wenn er sich vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen könne.

Das bedeutet nach Auffassung des BAG aber nicht, dass der Betriebsrat sich stets für die kostengünstigsten Veranstaltungen entscheiden müsse. In vielen Entscheidungen hat das BAG vielmehr darauf hingewiesen, dass der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats sich auch auf den Inhalt und die Qualität der Schulungen beziehe.

Präsenzveranstaltungen vermitteln deutlich mehr Fertigkeiten als Webinare
Bei Schulungen von Mitgliedern des Betriebsrats geht es nicht allein darum, Wissen über Rechtsvorschriften und Handlungsmöglichkeiten zu vermitteln. Präsenzveranstaltungen schulen vielmehr gegenüber Webinar viele Fertigkeiten, die für die praktische Arbeit des Betriebsrats notwendig sind.

Anders als bei Kontakten am Computer entsteht bei Präsenzseminaren ein hohes Maß an Interaktion zwischen den Teilnehmenden. Die Kommunikation ist nicht darauf beschränkt, Informationen und Meinungen verbal auszutauschen. Mimik und Gesten spielen etwa eine ebenso große Rolle. Zudem ist mehr Platz für Verständnis- und Zwischenfragen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Möglichkeit, dass sich die Teilnehmenden in Pausen bilateral oder in kleinen Gruppen unterhalten können. Das trägt nicht nur zum tieferen Verständnis des vermittelten Wissens bei, sondern aus solchen Gesprächen ergeben sich möglicherweise auch Detailfragen, die später im Plenum besprochen werden können.

Mit den heutigen technischen Möglichkeiten wird kein Webinar eine Präsenzschulung für Mitglieder des Betriebsrats ersetzen können. Deshalb kann der Arbeitgeber nicht mit dem Hinweis auf geringere Kosten darauf verweisen, auf die Teilnahme an Präsenzschulungen zu verzichten.

Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 26.02.2024

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