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Urteile

Eine überflüssige Änderungskündigung

Orientierungssätze

Haben die Parteien eines Arbeitsvertrags keinen Arbeitsort vereinbart, kann der Arbeitgeber eine*n Beschäftigte*n in Ausübung des Direktionsrechts versetzen. Eine Änderungskündigung ist dann überflüssig. Eine Klage gegen die überflüssige Änderungskündigung ist unbegründet. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich des Arbeitsorts eingeschränkt ist. Es reicht nicht aus, dass die*der Arbeitnehmer*in stets in derselben Filiale eingesetzt war.

  • Gericht

    Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz vom 01.03.2024
  • Aktenzeichen

    8 Sa 80/23

Der Rechtsstreit

Die Klägerin ist eine Sanitätshausfachverkäuferin und seit 2014 bei ihrem Arbeitgeber, einem Unternehmen auf dem Gebiet des Medizinproduktvertriebs, beschäftigt, welches sich insbesondere auf die Ausstattung von Laboren, Praxen und anderen medizinischen Einrichtungen spezialisiert hat. Der Arbeitgeber besitzt drei Sanitätshäuser. Neben der Filiale, in der die Klägerin arbeitete, gibt es noch eine in L und eine in C. Die Klägerin hat stets in derselben Filiale gearbeitet. Ein Arbeitsort wurde im Arbeitsvertrag nicht vereinbart.

Die Filiale der Klägerin soll schließen
Die alleinigen Gesellschafter des Unternehmens beschlossen im März 2022, die Filiale zu schließen, in der u.a. die Klägerin arbeitete. Die betroffenen Beschäftigten sollten in einer der beiden anderen Filialen weiterbeschäftigt werden.

Mit Schreiben vom 27.06.2022 sprach der Arbeitgeber der Klägerin eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 30.11.2022 aus und bot gleichzeitig eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab 01.12.2022 in der Filiale in C an. Dieses Angebot nahm die Klägerin mit Schreiben vom 19.07.2022 unter Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung an und erhob noch am selben Tag Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin hält die Änderungskündigung nicht für verhältnismäßig
Nach Auffassung der Klägerin sind die Änderung ihrer Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt. Es fehle an betriebsbedingten Gründen für die Schließung der Filiale, in der sie arbeitete. Zum anderen hätte ihr Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung in L statt in C anbieten müssen, da sie nach L eine kürzere Anfahrt habe und eine Änderung der Arbeitsbedingungen sie so wenig wie möglich belasten dürfe. Mit dem Auto liege die Filiale in L sieben Minuten näher an ihrem Wohnort als die Filiale in C, mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrage der Unterschied 28 Minuten. Die Änderung der Arbeitsbedingungen sei mithin unverhältnismäßig.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wies das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (LAG) zurück.

Allerdings kam es nach Auffassung des LAG nicht darauf an, ob die Änderungskündigung sozial gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber hätte die Klägerin aufgrund seines Direktionsrechts ohne Änderungskündigung versetzen können.

Die Änderungskündigung war überflüssig
Die Parteien haben den Arbeitsort der Klägerin vertraglich nicht festgelegt. Wenn sie das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch eine vertragliche Regelung einschränken wollten, müssten sie dies hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen. Im Arbeitsvertrag werde nicht ausdrücklich ein Arbeitsort genannt, auf den die Tätigkeit der Klägerin beschränkt ist oder bleiben soll.

Auch der Umstand, dass die Klägerin stets in derselben Filiale eingesetzt wurde, führe nicht dazu, dass sich der Arbeitsort konkretisiert hätte. Eine Vereinbarung, die den Arbeitsvertrag abändere, hätten die Parteien nicht getroffen. Der Arbeitgeber habe sein Direktionsrecht hinsichtlich des Arbeitsorts lediglich über einen längeren Zeitraum hinweg nicht ausgeübt. Daraus folge nicht, dass die Parteien sich stillschweigend über den Arbeitsort verständigt hätten.

Die Änderungskündigung des Arbeitgebers sei also überflüssig gewesen. Bereits deshalb sei die Klage unbegründet.

Der Kommentar

Eine Änderungskündigung des Arbeitsverhältnisses ist eine Kündigung, die mit dem Angebot verbunden wird, das Arbeitsverhältnis zu anderen Bedingungen fortzusetzen. Betroffene Arbeitnehmer*innen haben die Möglichkeit, das Angebot anzunehmen oder nicht. Sie können arbeitsrechtlich nicht gezwungen werden, zu geänderten Bedingungen weiterzuarbeiten. Nehmen die Beschäftigten das Angebot nicht an, handelt es sich nicht mehr um eine Änderungskündigung, sondern um eine „normale“ Kündigung, gegen die sie dann im Zweifel mit einer Kündigungsschutzklage vorgehen müssen.

Zum Glück sieht unser Arbeitsrecht noch eine dritte Möglichkeit vor: Die Annahme des Angebots unter dem Vorbehalt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Diesen Vorbehalt muss die*der Arbeitnehmer*in dem Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist erklären, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung. Das bestimmt § 2 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG).

Wer die Wirksamkeit einer Änderungskündigung gerichtlich überprüfen lassen will, muss binnen drei Wochen klagen
Zugleich muss sie*er statt einer „normalen“ Kündigungsschutzklage eine Klage auf Feststellung erheben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Macht sie*er das nicht innerhalb von drei Wochen, gilt die Änderungskündigung als gerechtfertigt.

Das alles gilt, wenn der Arbeitgeber will, dass die*der Arbeitnehmer*in zu geänderten Arbeitsbedingungen weiter beschäftigt wird. Das sind Arbeitsbedingungen, die der Arbeitgeber nicht einseitig bestimmen kann. Grundlage dessen, zu dem die*der Beschäftigte verpflichtet ist, ist in erster Linie der Arbeitsvertrag.  

Der Arbeitgeber kann gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder durch gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Das ist das Weisungsrecht oder Direktionsrecht des Arbeitgebers.

In unserem Fall ging es nicht um die Änderung der Arbeitsbedingungen im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes
Im vorliegenden Fall wurde im Arbeitsvertrag kein Arbeitsort bestimmt. Auch aus anderen Vorschriften ergab sich kein konkreter Ort, an dem die Klägerin ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatte. Wenn der Arbeitgeber Änderungen erstrebt, die er schon durch Ausübung seines Weisungsrechts durchsetzen kann, sind das Änderungen im Rahmen der bestehenden vertraglichen Vereinbarungen und keine „Änderung von Arbeitsbedingungen“, wie sie gemäß § 2 KSchG gemeint sind. Am Vertragsinhalt wird materiell nichts geändert. Somit liegt in Wirklichkeit kein Änderungsangebot vor. Die vermeintlich erst herbeizuführenden Vertragsbedingungen gelten bereits. Eine Klage gegen die Änderung der Arbeitsbedingungen ist dann unbegründet. Das sagt das Bundesarbeitsgericht (BAG) in ständiger Rechtsprechung.

Ganz schutzlos sind Arbeitnehmer*innen aber auch nicht, wenn Arbeitgeber ihr Direktionsrecht ausüben. Nach der gesetzlichen Vorschrift müssen sie dabei „billiges Ermessen“ walten lassen. Der Arbeitgeber ist demnach verpflichtet, die wesentlichen Umstände des jeweiligen Falles abzuwägen und auch die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Auch private Lebensumstände, besondere Vorlieben, Abneigungen und Kenntnisse der Beschäftigten muss er beachten. Mit anderen Worten: Er darf nicht willkürlich oder allein nach seinen eigenen Interessen handeln.

Der Arbeitgeber muss die Interessen der Beschäftigten angemessen berücksichtigen, wenn er sein Direktionsrecht ausübt
Ob die Interessen von Beschäftigten angemessen berücksichtigt wurden, kann nur durch Abwägung mit den dienstlichen Gründen des Arbeitgebers ermittelt werden, die zu der Ausübung des Direktionsrechts geführt haben.

Indessen ist diese „Einschränkung“ des Direktionsrechts für die Beschäftigten eher ein stumpfes Schwert. Es kommt in der Praxis nicht allzu häufig vor, dass Gerichte Entscheidungen des Arbeitgebers für nichtig halten, weil er sein Direktionsrecht nicht nach billigem Ermessen ausgeübt hat.

Den Gerichten steht nicht zu, die unternehmerische Entscheidung als solche infrage zu stellen. Die Tatsache, dass eine bestimmte Filiale geschlossen werden soll, muss der Unternehmer nicht nach billigem Ermessen treffen. Ob diese Entscheidung sinnvoll, vernünftig oder angemessen ist oder ob sie andere benachteiligt, spielt nach unserem Recht für die Wirksamkeit keine Rolle.

Nach billigem Ermessen muss der Arbeitgeber nur die Entscheidung treffen, was mit den Beschäftigten geschieht, die von der Schließung betroffen sind. Die*der Arbeitnehmer*in hat insoweit allerdings kein Anspruch auf Ermessensausübung in eine bestimmte Richtung. Es geht nur darum, ob der Arbeitgeber die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat.

Und da hatte das LAG im vorliegenden Fall keinen Zweifel.

Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 28.04.2024

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