Urteile
Entschädigung für Bereitschaftsdienst bei der Feuerwehr
Orientierungssätze
Müssen Beamt*innen der Feuerwehr während des Bereitschaftsdiensts bei einer Alarmierung innerhalb von 90 Sekunden mit einem Dienstfahrzeug ausrücken, ist diese Bereitschaftsdienstzeit in der Regel als Arbeitszeit zu werten. Den Beamt*innen steht dann eine Entschädigung für Dienstzeiten zu, die über eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden hinausgehen.
Gericht
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vom 30.09.2024Aktenzeichen
6 A 856/23 und 6 A 857/23
Der Rechtsstreit
Bei der Feuerwehr in Mülheim an der Ruhr gibt es einen sogenannten „Direktionsdienst“ und einen „Hintergrunddienst“, der jeweils außerhalb der regulären Arbeitszeit zu leisten ist. Die Feuerwehrleute müssen rufbereit sein, wenn sie für diese Dienste eingeteilt sind, die jeweils 24 Stunden dauern. Während dieser Zeit dürfen sie sich nur in einem Radius von 12 km um die in Mülheim gelegene Schlossbrücke bewegen. Wenn sie per Funkalarmempfänger oder Mobiltelefon alarmiert werden, müssen sie innerhalb einer Zeitspanne von maximal 90 Sekunden mit einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug ausrücken.
Für die Stadt gilt die Alarmbereitschaft nur zu einem Viertel als Dienstzeit
Die Feuerwehrleute sind angewiesen, das Dienstfahrzeug mitzuführen. Im Fahrzeug sind die persönliche Schutzausrüstung sowie eine Tasche mit der Ausrüstung für den leitenden Notarzt untergebracht. Mit Ausnahme von Alarmfahrten dürfen im Dienstfahrzeug auch Personen mitgenommen werden, die nicht der Feuerwehr angehören.
Die Stadt betrachtet diese „Alarmbereitschaftsdienstzeiten“ nur zu einem Viertel als Dienstzeit. Nur tatsächliche Einsätze während dieser Zeiten wertet die Stadt vollständig.
Zwei Beamte der Feuerwehr haben gegen die Stadt Mülheim vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Sie begehren eine Entschädigung für Bereitschaftszeiten, die sie im Zuge der Alarmbereitschaft geleistet haben, insoweit dadurch ihre Arbeitszeit über die wöchentliche Höchstarbeitszeit hinausgeht. Das Gericht hatte ihre Klagen abgewiesen. Die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen war indessen erfolgreich.
Oberverwaltungsgericht: Die Alarmbereitschaft ist in diesem Fall komplett Dienstzeit
Die Feuerwehrleute erhalten Entschädigung für geleistete Alarmbereitschaftszeiten, soweit sie über die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden hinausgingen. Diese Zeiten seien in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne europarechtlicher Vorgaben einzustufen, argumentiert das OVG. Das begründe sich im Wesentlichen aus den gravierenden Einschränkungen für die Zeitgestaltung der Beamten während der Dienste, die aus dieser kurzen Reaktionszeit resultierten.
Dadurch habe die Arbeitszeit der Beamten regelmäßig die europarechtlich zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden überstiegen. Da es nach Auskunft der Stadt Mülheim nicht möglich sei, diese Überstunden als Freizeit auszugleichen, hätten die Beamten Anspruch auf finanzielle Entschädigung, die sich nach den Stundensätzen der Mehrarbeitsvergütungsverordnung der Stadt bemessen würden.
Der Kommentar
Das OVG hat nicht entschieden, dass die Stadt den beiden klagenden Beamten Überstunden zu zahlen hat. Sie muss vielmehr eine Entschädigung leisten. Das hat mit einer Besonderheit des deutschen Beamtenrechts zu tun. Beamt*innen werden nämlich nicht für geleistete Arbeit entlohnt wie Arbeiter*innen oder Angestellte. Sie werden vielmehr – in der Regel auf Lebenszeit – alimentiert. Und zwar entsprechend ihres „Statusamtes“. In unserem Fall übte der eine das Amt eines Branddirektors (Besoldungsgruppe A 15) und der andere das Amt eines Brandamtmannes (Besoldungsgruppe A 11) im feuerwehrtechnischen Dienst aus.
Beamt*innen stehen in keinem Arbeitsverhältnis zu ihrer Dienststellenleitung
Das Beamtenverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis, sondern ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis mit beiderseitiger besonderer Treuepflicht. Es besteht eine öffentlich-rechtliche Dienstleistungspflicht unter dauerndem und vollständigem Einsatz der gesamten Persönlichkeit. Beamt*innen sind für ihr Handeln persönlich verantwortlich, unterliegen aber der Gehorsamspflicht. Auf der anderen Seite haben Beamt*innen ein Recht auf lebenslange Zahlung amtsangemessener Bezüge, als Ruhestandsbeamt*innen allerdings nur in Form der niedrigeren Ruhestandsbezüge (Alimentationsprinzip). Das hat seine Grundlage in Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz (GG), den sogenannten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“.
Arbeiter*innen und Angestellte haben dagegen mit ihren Arbeitgebern einen Vertrag, auf dessen Grundlage ein Arbeitsverhältnis besteht. Das ist rechtlich ein Dauerschuldverhältnis, in dem die*der eine zur Arbeitsleistung verpflichtet ist und der andere zur Entgegennahme der Arbeit und Zahlung der vereinbarten Vergütung. Hier bezieht sich also die Vergütung unmittelbar auf die Arbeit, die zu leisten ist. Ganz anders bei Beamt*innen: Es gibt zwischen ihnen und der Dienststellenleitung kein solches Austauschverhältnis. Das wird etwa deutlich im Fall von Krankheit: Beamt*innen erhalten weiter ihre Bezüge, selbst wenn sie jahrelang arbeitsunfähig sind.
Der Europäische Gerichtshof behandelt deutsche Beamt*innen als Arbeitnehmer*innen
Weil das so ist, können Beamt*innen auch keine Überstundenvergütung verlangen, wenn in den Rechtsvorschriften nicht ausdrücklich Vergütungsregelungen bestehen. Sie sind nach deutschem Recht keine Arbeitnehmer*innen. Ganz anders nach europäischem Recht. Etwas Vergleichbares wie das deutsche Berufsbeamtentum gibt es in der westlichen Welt fast nirgendwo. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach entschieden, dass deutsche Beamt*innen Arbeitnehmer*innen im Sinne der europäischen Rechtsvorschriften sind und ihnen deshalb auch deren Schutzbestimmungen zukommen.
Wesentlich in den vorliegenden Verfahren ist die Richtlinie der Europäischen Union über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG). Nach dieser Richtlinie ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein*e Arbeitnehmer*in gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und ihre*seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.
Arbeitszeit liegt vor, wenn die Möglichkeit, sich eigenen Interessen zu widmen, durch dienstliche Verpflichtungen erheblich eingeschränkt sind
Der EuGH hat bereits in einer Entscheidung von 2021 (C‑580/19) dargelegt, dass es sich um Arbeitszeit handelt, wenn die der*dem Arbeitnehmer*in während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie die Möglichkeiten einschränkt, die Zeit, in der berufliche Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten. Die Möglichkeiten, sich den eigenen Interessen zu widmen, müssen objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigt werden.
Es dürfte keinen ernsthaften Zweifel daran geben, dass das hier der Fall ist. Zu einer Entschädigung ist die Stadt aber nur verpflichtet, wenn und insoweit die*der Beamt*in dadurch mehr Arbeit geleistet hat als nach europäischen Vorschriften vorgesehen ist. Artikel 6 der Richtlinie 2003/88/EG bestimmt, dass die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten darf. Daran hat das OVG auch die Entschädigung bemessen.
Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 30.10.2024
© ver.di Bildung + Beratung Gem. GmbH