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Urteile

Fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug

Orientierungssätze

Arbeitnehmer*innen haben ihre Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, wenn der Arbeitgeber ihnen den Nachweis über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit übertragen hat. Wird hiergegen bewusst verstoßen, kann dies eine fristlose Kündigung begründen.

  • Gericht

    Landesarbeitsgericht Hamm vom 27.01.2023
  • Aktenzeichen

    13 Sa 1007/22

Der Rechtsstreit

Ein Arbeitgeber kündigte fristlos das Arbeitsverhältnis einer 62-jährigen schwerbehinderten Mitarbeiterin (Grad der Behinderung: 100), die er seit acht Jahren beschäftigte. Zugleich kündigte er hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Zuvor hatte das Integrationsamt der außerordentlichen Kündigung zugestimmt.

Begründet wurde die Kündigung damit, dass sie in einem dem Betrieb gegenüberliegenden Café zehn Minuten lang Kaffee trank, ohne sich dafür aus dem Zeiterfassungssystem auszuloggen. Hierbei wurde sie von ihrem Chef beobachtet, der zuvor von Kolleg*innen erfahren hatte, dass sie regelmäßig das Café aufsuche, ohne dies als Pausenzeit zu buchen.

In dem Betrieb gibt es ein elektronisches Arbeitszeiterfassungssystem. Die Arbeitnehmer*innen sind angewiesen, sich zu Beginn ihrer Arbeitszeit ein- und bei Beendigung wieder auszustempeln. Zu Beginn einer Pause müssen sich die Beschäftigten ausstempeln und nach deren Ende wieder einstempeln.

Zur Korrektur von unzutreffend erfassten Arbeitszeiten befindet sich an dem Zeiterfassungsgerät ein Kalender, in dem die Arbeitnehmer*innen z.B. vergessene Ein- und Ausstempelzeiten eintragen können. Diese Korrekturmöglichkeit war der gekündigten Arbeitnehmerin bekannt.

Gegen die Kündigung erhob sie Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen, der kein Erfolg beschieden war, woraufhin sie Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm einlegte.

Klägerin bestreitet Pflichtverletzung bei der Arbeitszeiterfassung
Bereits erstinstanzlich wurde festgestellt, dass die Klägerin ihren Café-Besuch im elektronischen Zeiterfassungssystem nicht dokumentiert hatte. Vor der Arbeitszeitunterbrechung sagte sie ihren Kolleg*innen, dass sie in den Keller gehen würde. Vom Arbeitgeber damit konfrontiert, stellte sie den Café-Besuch in Abrede. Sie behauptete, im Keller gewesen zu sein. Den Betrieb habe sie nicht verlassen. Erst nachdem der Arbeitgeber ankündigte, ihr Beweisfotos auf seinem Mobiltelefon zu zeigen, gab sie zu, sich zur Kaffeepause weder aus- noch wieder eingeloggt zu haben.

Berufungsgericht bestätigt Entscheidung des Arbeitsgerichts
Das LAG Hamm bestätigte die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Das Gericht wies in seiner Begründung darauf hin, dass der Arbeitgeber die Arbeitszeit nur schwer kontrollieren könne. Deshalb müssten die Beschäftigten sie korrekt dokumentieren. Verstießen Beschäftigte dagegen, stelle das einen Kündigungsgrund an sich dar.

LAG: Vertrauensbruch letztlich entscheidungserheblich!
Die strafrechtliche Würdigung des Verhaltens der Klägerin hielt das Gericht für weniger relevant.

Ausschlaggebend sei vielmehr der mit der Pflichtverletzung verbundene schwere Vertrauensbruch. Aus der Sicht des LAG Hamm lag ein solcher irreparabel vor, da die Arbeitnehmerin den Café-Besuch im Personalgespräch mit dem Arbeitgeber beharrlich geleugnet hatte und ihr Fehlverhalten erst eingestand, als sie mit den Fotos konfrontiert wurde, auf denen sie kaffeetrinkenderweise in dem Café zu sehen war. Da die Beweislage ergeben habe, so das LAG, dass die Raumpflegerin das Ausloggen nicht einfach vergessen hatte, sondern vorsätzlich handelte, sei eine Abmahnung aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich gewesen.

Gründe für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht sah das LAG nicht als gegeben, sodass das Verfahren in der Berufungsinstanz rechtskräftig beendet wurde.

Der Kommentar

Dumm gelaufen!
Es dürfte allseits bekannt sein, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren haben. Geschieht dies nicht, sollte man nicht versuchen, ein solches Fehlverhalten zu bestreiten.

Nach der Rechtsprechung kann zwar ein einmaliger Arbeitszeitbetrug von nur zehn Minuten im Einzelfall eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Da es sich um Einzelfallentscheidungen handelt, führt aber nicht jeder Arbeitszeitbetrug zu einer wirksamen fristlosen Kündigung.

Fehlverhalten sollte zeitnah eingestanden werden
Begehen Beschäftigte einen kündigungsrelevanten Pflichtverstoß, sollten sie diesen „ohne Wenn und Aber“ eingestehen und sich entschuldigen.

In dem Fall der langjährig beschäftigten schwerbehinderten Klägerin wäre sicherlich eine Abmahnung ausreichend gewesen, wenn sie ihren Arbeitgeber nicht belogen hätte. Denn erst hierdurch kam es zu einem nicht mehr zu kittenden Vertrauensbruch, der eine fristlose Kündigung durchaus berechtigt erscheinen lassen kann.

Zusammengestellt und kommentiert von Hans-Martin Wischnath, langjähriger DGB-Rechtsschutzsekretär, Kuchen in Baden-Württemberg, 19.06.2023

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