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Urteile

Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Äußerungen in einer privaten Chatgruppe?

Orientierungssätze

Arbeitnehmer*innen, die in einer privaten Chatgruppe Betriebsangehörige beleidigen und verachten, müssen damit rechnen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Sie können nicht ohne Weiteres erwarten, dass die Vertraulichkeit ihrer Äußerungen geschützt ist. Diese hängt nämlich auch vom Inhalt der Äußerungen und der Zusammensetzung der Chatgruppe ab. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jetzt in drei Fällen entschieden.

  • Gericht

    Bundesarbeitsgericht vom 24.08.2023
  • Aktenzeichen

    2 AZR 17/23

Der Rechtsstreit

Sechs Beschäftigte eines Flugunternehmens sind bereits seit 2014 Mitglieder einer privaten Chatgruppe und seit langer Zeit befreundet. Zwei von ihnen sind Brüder. Unter dem Gruppennamen „H.L.T.“ tauschten sie auf ihren privaten Smartphones über WhatsApp Nachrichten aus. Ein weiterer Arbeitskollege ist in der Zeit von November 2020 bis Januar 2021 Mitglied gewesen. Dieser zeigte im Rahmen eines Arbeitsplatzkonflikts einem anderen Beschäftigten des Unternehmens, der nicht zur Chatgruppe gehörte, den Chatverlauf der Gruppe.

Die Chats enthielten beleidigende, sexistische und menschenverachtende Äußerungen über Vorgesetzte und Arbeitskolleg*innen. Zum Teil äußerten sich Mitglieder in einer Weise, die eine rechtsradikale Gesinnung vermuten lassen. So fielen Worte wie „diese Firma ist ein Behinderten- und Pflegeheim zugleich“, „mit Türken an der Spitze wird das nix mit dieser Stadt und diesen Verein“, „Covidioten sollten vergast werden (…) KZ oder so“ und „unsere Piloten müssten alle vergast werden“.

Ein Mitarbeiter kopierte den Chat-Verlauf und wandte sich an den Betriebsrat
Über Arbeitskolleginnen äußerten sich einzelne Mitglieder deutlich sexistisch und in einer Weise, die deren Persönlichkeit entwürdigt und herabsetzt. Und auch der Betriebsrat war Adressat der rechtsradikalen Äußerungen: „Wie damals im Reich; Anschlag auf BR wenn das alles so kommt; Vernichten müssen wir sie alle. Gewöhnt Euch dran“.

Der „andere“ Mitarbeiter kopierte den Chat-Verlauf auf sein eigenes Smartphone und wandte sich an den Betriebsrat. Dieser informierte den Personalleiter über die Chatgruppe „H.L.T.“. Er übermittelte ein 316-seitiges Word-Dokument mit dem Inhalt des Chatverlaufs für die Zeit vom November 2020 bis Januar 2021.

Die Äußerungen als solche können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen
In der Folge kündigte die Arbeitgeberin Mitgliedern der Chatgruppe. Drei klagten und bekamen sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Recht. Das LAG hat die Auffassung vertreten, dass der Datenschutz hier zwar nicht verletzt worden sei. Der sei selbst dann nicht begründet, wenn die Arbeitgeberin die Daten rechtswidrig erlangt hätte.

Auch seien die Äußerungen im Rahmen der Chatgruppe grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Allerdings sei der Austausch zwischen dem Kläger und den anderen Mitgliedern der Chatgruppe auf Vertraulichkeit ausgerichtet gewesen. Die Mitglieder hätten untereinander Ende-zu-Ende verschlüsselte Nachrichten ausgetauscht, die für Außenstehende nicht einsehbar gewesen wären.

Die Mitglieder hätten nach Auffassung des LAG Vertraulichkeit erwarten können
Die Kläger hätten stets kontrollieren können, wer Zugang zur Chatgruppe hätte. Die Mitglieder hätten seit Jahren ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis zueinander gehabt. Daher hätten alle darauf vertrauen können, dass kein Dritter Kenntnis vom Inhalt des Chats erlangt. Dies gelte umso mehr, als die Mitarbeiter in der Chat-Gruppe bereits seit dem Jahr 2014 Nachrichten ausgetauscht hätten, ohne dass diese Außenstehenden bekannt geworden seien. Zudem habe es sich um eine rein private Chatgruppe gehandelt ohne konkreten dienstlichen Bezug.

Das BAG hat der Revision der Arbeitgeberin indessen stattgegeben und die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Nach Auffassung des BAG hätten die Kläger nicht ohne Weiteres erwarten können, dass ihre Korrespondenz vertraulich bleibt. Das sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen könnten. Das wiederum sei abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe.

BAG: Die Kläger müssen darlegen, warum sie Vertraulichkeit erwarten dürfen
Hätten die Mitglieder der Chatgruppe Betriebsangehörige beleidigt und sich menschenverachtend über sie geäußert, müssten sie besonders darlegen, warum sie erwarten könnten, dass der Inhalt von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben werde. Das BAG hat die Sache deshalb an das LAG zurückverwiesen. Die Kläger müssten darlegen, warum sie angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durften.

Das LAG wird also erneut über die Sachen entscheiden müssen.

Der Kommentar

Der Fall weist drei Gesichtspunkte auf, die das BAG und die Instanzgerichte schon häufiger berücksichtigen mussten. Einmal geht es um das Verhältnis von Meinungsfreiheit und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Menschenwürde. Zum anderen betrifft die Entscheidung auch den Schutz der Privatsphäre. Im konkreten Fall heißt das: Konnten die Mitglieder der Chatgruppe darauf vertrauen, dass ihre Äußerungen den Belegschaftsmitgliedern und der Arbeitgeberin nicht zur Kenntnis gelangten?

Die Grundrechte im Grundgesetz sind zwar in erster Linie „Abwehrrechte“ des Bürgers gegen den Staat. Die gesamte Staatsgewalt ist aber nach dem Grundgesetz an alle Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Das gilt auch für Gerichte, wenn sie Gesetze auslegen und anwenden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einer berühmten Entscheidung von 1953 bereits erklärt („Lüth-Entscheidung“) und ist seitdem ständige Rechtsprechung.

Der Inhalt der Chats hat die Grenze des Erlaubten bei Weitem überschritten
Und dann ist schließlich noch zu prüfen, ob überhaupt das jeweilige Arbeitsverhältnis mit dem einzelnen Gruppenmitglied durch dessen Verhalten in Zukunft gestört sein wird.

Man braucht nicht darüber zu diskutieren, dass der Inhalt der Chats die Grenze des Erlaubten bei Weitem überschritten hat und zum Teil sogar strafrechtlich relevant ist. Zwar garantiert das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht nur das Recht, eine Meinung zu haben. Die Meinung darf man auch frei äußern und verbreiten. Das gibt mir das Recht, in jeder Form, also auch auf Facebook und WhatsApp, frei kundzutun, was ich denke. Und noch mehr: Das Bundesverfassungsgericht betont regelmäßig, dass wir nicht nur sagen dürfen, was wir denken. Wir dürfen mit unserer Meinung auch etwas bewirken wollen.

Das Grundgesetz (GG) weist aber Grenzen der Meinungsfreiheit auf. Artikel 5 Absatz 2 GG bestimmt, dass die Meinungsfreiheit „… ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ findet. Eine Meinungsäußerung kann auch die Grundrechte anderer verletzen.

Die Würde des Menschen geht jedem anderen Grundrecht vor
In unserem Fall stehen also zwei Grundrechte in Konkurrenz zueinander: die Meinungsfreiheit der Mitglieder der Chatgruppe auf der einen und die Persönlichkeitsrechte der anderen Beschäftigten des Unternehmens auf der anderen Seite. Die Rechtswissenschaft hat hier das Prinzip der sogenannten „praktischen Konkordanz“ entwickelt, das nicht ganz unkompliziert ist. Stehen zwei Grundrechte im Widerstreit, müssten beide nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „mit dem Ziel der Optimierung“ zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dabei käme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu. Wichtig dabei sei auch, dass die Grundrechte in ihrer Substanz nicht angetastet würden.

Insoweit ist die Lösung in unserem Fall aber gar nicht kompliziert. Die Äußerungen der Mitglieder der Chatgruppe gehen weit über das hinaus, was hinzunehmen ist. Sie berühren nicht nur die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der anderen Belegschaftsmitglieder. Sie verletzen auch deren Würde als Menschen. Und diese ist besonders geschützt durch den ersten Artikel des GG. Und der steht nicht in „praktischer Konkordanz“ zu den anderen Grundrechten, sondern steht immer an erster Stelle. Niemandem ist es nach unserer Rechtsordnung erlaubt, die Würde eines anderen Menschen auch nur anzutasten. Insoweit steht die Meinungsfreiheit hintenan. Das war den Müttern und Vätern des Grundgesetzes so wichtig, dass sie diesen Grundsatz mit der sogenannten „Ewigkeitsgarantie“ versehen haben. Er darf nicht geändert oder auch nur relativiert werden, selbst nicht mit einer hundertprozentigen Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat (Artikel 79 Absatz 3 GG).

Der Chat ist geeignet, den Betriebsfrieden zu stören
Es steht also völlig außer Frage, dass sich die Mitglieder der Chatgruppe „H.L.T.“ hier nicht auf Meinungsfreiheit berufen können. Sie haben sich in herablassender Weise über andere Beschäftigte und Führungspersonen geäußert, die deren Menschenwürde verletzt. Ob sie zudem noch Straftatbestände erfüllt haben, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.

Es erübrigt sich beinahe die Frage, ob das Ganze das Arbeitsverhältnis in einer Weise betrifft, die eine Kündigung rechtfertigt. Zwar darf man „einfachen Beschäftigten“ nicht verwehren, Kritik an der Unternehmenspolitik zu üben, weil sie bereits dadurch bekanntgeben würden, sie seien nicht loyal. Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, berechtigt einen Beschäftigten durchaus, öffentlich im Betrieb Maßnahmen des Arbeitgebers zu kritisieren. Er darf auch seine politischen Auffassungen kundtun, selbst wenn sie anderen Beschäftigten oder dem Arbeitgeber nicht gefallen.

Die Rechtsprechung ist sich aber weitgehend darin einig, dass die Rechte des Arbeitgebers dann verletzt werden, wenn der Betriebsfrieden durch das Auftreten des Beschäftigten in ernstlicher Weise gestört wird. Für eine Kündigung reicht es jedoch nicht, dass dieser lediglich durch eine Meinungsäußerung gestört werden könnte. Die Rechtsprechung verlangt, dass die Störung schon konkret da ist und voraussichtlich auch anhalten wird, was der Arbeitgeber in einem etwaigen Kündigungsschutzprozess auch darlegen und im Zweifel beweisen muss. Angesichts des Inhalts der Chats dürfte das bei einzelnen Mitgliedern der Gruppe aber nicht allzu schwierig sein.

Die Privatsphäre aller Menschen ist durch das Grundgesetz geschützt
Im vorliegenden Fall waren auch Arbeitsgericht und LAG der Auffassung, dass eine Kündigung dann gerechtfertigt ist, wenn das Mitglied der Chatgruppe die beschriebenen Äußerungen getätigt hat und damit rechnen musste, dass die Äußerungen auch betriebsöffentlich werden. Anders als das LAG war das BAG der Auffassung, dass der Sachverhalt insoweit noch nicht geklärt ist.

Auch die Privatsphäre ist durch die allgemeinen Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Menschenwürde geschützt. Geschützt ist dabei nicht nur der häusliche Bereich an sich, sondern auch die Intimsphäre Einzelner, also die innere Gedanken- und Gefühlswelt der Bürger*innen, die grundsätzlich dem staatlichen Zugriff verschlossen ist und in die auch andere Bürger*innen nicht ohne Zustimmung eindringen dürfen. Insoweit ist auch eine in sich geschlossene Chatgruppe bei WhatsApp geschützt.

Das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet im Übrigen Betriebsrat und Arbeitgeber, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer*innen zu schützen und zu fördern (§ 75 Abs. 2 BetrVG). Die Betriebspartner sind demnach verpflichtet, alles zu unterlassen, was die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde der Arbeitnehmer*innen verletzt. Im vorliegenden Fall gilt das aber nicht nur für den Schutz der Privatsphäre der Chatgruppen-Mitglieder, sondern auch für die Rechte der anderen Betriebsangehörigen, die beleidigt und herabgewürdigt wurden. Insoweit muss hier Entsprechendes gelten wie im Verfassungsrecht – und das Recht auf Privatsphäre zurückstehen.

Zu Recht verlangt das BAG, dass die betroffenen Beschäftigten erklären müssen, warum sie von Vertraulichkeit ausgehen
Allerdings spielt im Kündigungsschutzprozess eine erhebliche Rolle, ob die*der Beschäftigte – objektiv betrachtet – davon ausgehen konnte, dass ihre*seine Äußerungen im privaten Bereich bleiben. Arbeitnehmer*innen sind nämlich nicht gehalten, von ihren Arbeitgebern nur positiv zu denken und sich in ihrer Privatsphäre ausschließlich entsprechend zu äußern. Das BAG hat schon häufiger entsprechend entschieden.

In der aktuellen Entscheidung sagt jetzt der 2. Senat des BAG, dass der Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe ist. Seien Gegenstand der Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, müsse die*der Arbeitnehmer*in darlegen, warum sie*er berechtigt erwarten konnte, dass deren Inhalt von keinem Gruppenmitglied an Dritte weitergegeben werde.

Es macht demnach einen Unterschied, ob ein Mensch herablassende Kritik gegen Arbeitgeber oder Beschäftigte in einem vertraulichen Gespräch äußert oder ob sie*er in einer Gruppe in der Weise hetzt, wie es nach der Beweisaufnahme zumindest drei Mitglieder der Chatgruppe „H.L.T.“ in unserem Fall getan haben. Zurecht geht das BAG davon aus, dass entsprechende Arbeitnehmer*innen schon konkret darlegen müssen, warum sie von Vertraulichkeit ausgehen. Denn selbst gute Freund*innen dürften oft die Grenze ihrer Loyalität erreichen, wenn sie mit einer derartigen Einstellung gegenüber Mitmenschen, insbesondere Arbeitskolleg*innen konfrontiert werden. Auch von noch so vertrauten Personen wird man kaum mit absoluter Sicherheit verlangen können, sie blieben verschwiegen, wenn man ihnen gegenüber mit einem Kapitalverbrechen angibt.

Hinzufügen möchte man noch, dass es ohnehin lächerlich ist, von Vertraulichkeit in sozialen Netzwerken auszugehen.

Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 12.09.2023

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