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Urteile

Leiharbeitnehmer zählen bei der Bestimmung der Größe des Betriebsrats im Entleiherbetrieb mit

Orientierungssätze

Leiharbeitnehmer sind bei der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebs grundsätzlich zu berücksichtigen.

  • Gericht

    Bundesarbeitsgericht vom 13.03.2013
  • Aktenzeichen

    7 ABR 69/11
  • Rechtsgrundlage

    § 9 BetrVG

Der Rechtsstreit

Die Beteiligten stritten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl in einem gemeinsamen Betrieb. Dort waren zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens insgesamt 879 Stammarbeitnehmer und 292 Leiharbeitnehmer regelmäßig beschäftigt. 

Bei der Bestimmung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder hat der Wahlvorstand aufgrund einer vom Arbeitgeber im Vorfeld der Wahl erwirkten einstweiligen Verfügung die Leiharbeitnehmer nicht mitgezählt und nur 13 Kandidaten in dem Wahlausschreiben benannt. Dementsprechend wurde ein 13-köpfiger Betriebsrat gewählt. 

Diese Betriebsratswahl wurde von 14 Arbeitnehmern des Betriebs, worunter sich auch Mitglieder des neu gewählten Betriebsrats befanden, angefochten. Zur Begründung wurde angeführt, es hätte ein Gremium mit 15 Betriebsratsmitgliedern gewählt werden müssen, da sich die Anzahl der Leiharbeitnehmer auf die Größe des zu wählenden Betriebsrats auswirke. Der Betriebsrat schloss sich dieser Auffassung ebenfalls an. 

Der Antrag wurde in den ersten beiden Instanzen vom Arbeitsgericht Nürnberg und vom LAG Nürnberg abgewiesen und hatte vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfolg. 

Dieses hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, dass bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG für die Bestimmung der Betriebsratsgröße die in der Regel beschäftigten Leiharbeitnehmer mit zu berücksichtigen seien. Dies ergebe die insbesondere an Sinn und Zweck der Schwellenwerte orientierte Auslegung des Gesetzes. Ab einer Betriebsgröße von mehr als 100 Arbeitnehmern komme es auch nicht auf die Wahlberechtigung der Leiharbeitnehmer an. 


Der Kommentar

§ 9 BetrVG bestimmt die Zahl der Betriebsratsmitglieder nach der Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Je mehr Mitarbeiter im Betrieb tätig sind, desto höher ist auch die Anzahl der Betriebsratsmitglieder. So besteht der Betriebsrat in Betrieben mit 5 bis 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus einer Person, bei 21 bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus 3 Mitgliedern, bei 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus 5 Mitgliedern etc. Ab 101 Arbeitnehmern kommt es auf die Wahlberechtigung nicht mehr an. Für die Festlegung der regelmäßig Beschäftigten bedarf es eines Rückblicks und einer Prognose für die Zukunft. Maßgeblich ist die normale Personalstärke, die für den Betrieb üblich ist (BAG v. 7.5.2008 – 7 ABR 17/07).

Das Bundesarbeitsgericht hat bisher in ständiger Rechtsprechung die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer nicht bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG berücksichtigt. Mit der Entscheidung vom 13.3.2013 hat es diese Rechtsprechung aufgegeben. Damit führt der 7. Senat die mit dem Urteil des 2. Senats vom 24.1.2013 (2 AZR 140/12) eingeschlagene Linie fort, wonach nun auch bei den Schwellenwerten des § 23 KSchG die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer mitzuzählen seien, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruhe.

Damit wird das BAG den gestiegenen Anforderungen an Betriebsräte im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern gerecht, die gegebenenfalls mehrere Jahre im Betrieb arbeiten. Der Betriebsrat muss diesen Personenkreis genauso in seine Arbeit einbeziehen wie die übrigen Arbeitnehmer. So haben Betriebsräte in Betrieben mit einer hohen Anzahl von Leiharbeitnehmern erhebliche Mehrarbeit unter anderem im Bereich der personellen Mitbestimmung des § 99 BetrVG, des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung oder bei der Überwachung spezieller Tarifverträge.

Diese wichtige Entscheidung wirkt sich bereits auf laufende, spätestens aber auf die im Jahr 2014 anstehenden Betriebsratswahlen aus. Bedeutung dürfte diese neue Rechtsprechung aber auch für andere Regelungen mit Schwellenwerten im BetrVG, wie etwa für die Bestimmung der Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 1 BetrVG, haben. Im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung kann diese neue Beurteilung von Leiharbeitnehmern auch bedeutsam für die Bildung oder Zusammensetzung von Aufsichtsräten sein.


Zusammengestellt und kommentiert von Ass. jur. Dr. N. Nießen, Düsseldorf, 21.03.2013

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