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Urteile

Mitbestimmung bei der Einführung und Nutzung von Headsets

Orientierungssätze

Bei einem Headset-System, das Vorgesetzten ermöglicht, die Kommunikation unter Arbeitnehmer*innen mitzuhören, handelt es sich um eine technische Einrichtung, die zur Überwachung bestimmt ist. Führt ein Arbeitgeber ein solches System ein, ist der Betriebsrat mitbestimmungspflichtig, selbst wenn die Gespräche weder aufgezeichnet noch gespeichert werden. Wird das System in einem Unternehmen mit mehreren Betrieben eingeführt und kann nur von einer zentralen IT-Abteilung für alle oder mehrere Betriebe betreut und gewartet werden, ist der Gesamtbetriebsrat zuständig.

  • Gericht

    Bundesarbeitsgericht vom 16.07.2024
  • Aktenzeichen

    1 ABR 16/23

Der Rechtsstreit

Ein Einzelhandelsunternehmen führte in einer Filiale Headsets zur internen Kommunikation ein, die über eine Basisstation verbunden sind und eine drahtlose Kommunikation innerhalb der Filiale ermöglichen. Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Bekleidungseinzelhandelskonzerns P, deren Zentrale ihren Sitz in Dublin hat. Sie unterhält bundesweit zahlreiche Betriebe, darunter eine Filiale in D, in der mehr als 200 Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind. Die Headsets werden in mehreren Filialen des Unternehmens eingeführt. Gewartet und betreut wird das System zentral von der IT-Abteilung in Dublin.

Die Arbeitnehmer*innen entnehmen die von ihnen genutzten Headsets einem Gerätepool, ohne dass aufgezeichnet wird, welche*r Arbeitnehmer*in welches Gerät benutzt hat. Die Nutzung der Headsets kann daher nicht einzelnen Arbeitnehmer*innen zugeordnet werden.

Nach Auffassung des Betriebsrats sind die Headsets eine technische Einrichtung, die zur Überwachung von Arbeitnehmer*innen geeignet sind

Im Unternehmen gibt es sowohl einen Gesamtbetriebsrat als auch Betriebsräte in einzelnen Filialen. Mit dem Gesamtbetriebsrat hatte das Unternehmen eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur „Einführung und Anwendung von IKT-Systemen, Datenschutz und Informationssicherheit“ abgeschlossen. Diese sieht u.a. vor, dass „mitbestimmungspflichtige IKT-Systeme ... in Form einer Systemabsprache als Anlage zu dieser Vereinbarung in den mit dieser Vereinbarung geschaffenen Rahmen integriert“ werden. In der Folgezeit beschloss die Arbeitgeberin, für die Kommunikation der Arbeitnehmer*innen innerhalb der einzelnen Filialen Headsets der Firma V zu verwenden. Im Jahr 2021 vereinbarte sie mit dem Gesamtbetriebsrat eine „Systemabsprache“ zum Einsatz dieser Geräte.

Der Betriebsrat ist der Ansicht, dass ihm für die Einführung der Headsets in der Filiale in D ein Mitbestimmungsrecht zusteht

Antragsteller im vorliegenden Verfahren ist der in der Filiale in D gebildete (neunköpfige) Betriebsrat. Dieser ist der Ansicht, dass die Headsets eine technische Einrichtung sind, die zur Überwachung von Arbeitnehmer*innen geeignet ist. Er beansprucht daher ein Mitbestimmungsrecht bei ihrer Einführung und Nutzung. Da die Kommunikation nicht in andere Betriebe übertragen werde, sieht er sich – und nicht den Gesamtbetriebsrat – als zuständig für die Angelegenheit an. Der Betriebsrat möchte der Arbeitgeberin gerichtlich im Wege des Beschlussverfahrens untersagen lassen, das Headset-System in der Filiale einzuführen und zu verwenden, solange er nicht mitbestimmt hat oder die fehlende Einigung der Beteiligten hierüber durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.

Zuständig ist nach Rechtsauffassung des BAG der Gesamtbetriebsrat

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Anträge abgewiesen. Der Betriebsrat verfolgte sein Begehren mit einer Rechtsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) weiter. Das BAG hat die Beschwerde abgewiesen. Der zulässige Unterlassungsantrag des Betriebsrats sei unbegründet, so das BAG. Zwar unterliegen die Einführung und Anwendung des umstrittenen Headset-Systems der betrieblichen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Für deren Ausübung sei jedoch nicht der örtliche Betriebsrat, sondern der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Das Gericht argumentierte, dass das Headset-System einschließlich der Software und des V-Portals eine einheitliche technische Einrichtung darstelle, die zentral von der IT-Abteilung in Dublin betreut werde. Aufgrund der unternehmenseinheitlichen Betreuung und des Fehlens einer eigenen IT-Abteilung in der Filiale bestehe ein zwingendes Erfordernis für eine einheitliche Regelung durch den Gesamtbetriebsrat.

Der Kommentar

Der Betriebsrat hat beim Arbeitsgericht beantragt, dass die Arbeitgeberin es unterlässt, eine technische Einrichtung einzuführen und zu nutzen, die dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer*innen zu überwachen. § 87 Absatz 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) schreibt dafür zwingend die Mitbestimmung des Betriebsrats vor. Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen, entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Der Betriebsrat kann somit den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erzwingen, wenn er tatsächlich ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG hat.

Das BAG geht zutreffend davon aus, dass das Headset-System der Mitbestimmung unterliegt, weil Vorgesetzte die Kommunikation mithören können

Im vorliegenden Fall wollte die Arbeitgeberin ein Headset-System einführen, das den Vorgesetzten ermöglicht, die Kommunikation unter Arbeitnehmer*innen mitzuhören. Zutreffend ist das BAG davon ausgegangen, dass die Headsets deshalb eine technische Einrichtung im Sinne von § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG sind. 

Da die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat keine Betriebsvereinbarung über die Einführung und Nutzung der Headsets verhandelt hat, hat dieser beim Arbeitsgericht beantragt, der Arbeitgeberin zu untersagen, das Tragen von Headsets im Betrieb in D ohne seine Zustimmung oder einen diese ersetzenden Spruch der Einigungsstelle anzuweisen oder zu dulden.

Im Beschlussverfahren gilt der Grundsatz der Amtsermittlung

Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist gemäß § 2a Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) für Angelegenheiten nach dem BetrVG zuständig, also auch bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Insoweit findet das sogenannte „Beschlussverfahren“ statt. Ein solches Verfahren endet nicht mit einem Urteil, sondern wird durch Beschluss entschieden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Urteils- und einem Beschlussverfahren besteht darin, dass im Letzteren der sogenannte „Amtsermittlungsgrundsatz“ gilt. Im Urteilsverfahren gilt dagegen die „Parteienmaxime“. Das Gericht darf den Sachverhalt nicht von Amts wegen ermitteln, sondern muss von dem Sachverhalt ausgehen, den die Parteien darlegen.

Das Bundesarbeitsgericht ermittelt nicht, sondern entscheidet nur Rechtsfragen

Den Sachverhalt ermitteln im Beschlussverfahren aber nur die Instanzgerichte, also Arbeits- und Landesarbeitsgericht (LAG). Das BAG entscheidet nur Rechtsfragen. Hält es den Sachverhalt für noch nicht ausreichend ermittelt, kann es den Rechtsstreit an das LAG zurückverweisen.

Das Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Arbeitsgerichts heißt im Beschlussverfahren „Beschwerde“. Gegen eine Entscheidung des LAG ist nur dann die „Rechtsbeschwerde“ möglich, wenn das LAG oder das BAG diese zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass der Beschluss des Landesarbeitsgerichts auf der Nichtanwendung oder der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht. Das BAG prüft dann nur, ob das LAG das Recht richtig angewendet hat.

In unserem Fall hat das BAG dem LAG im Ergebnis Recht gegeben, allerdings mit anderer Begründung. Das LAG war im Gegensatz zum BAG zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Headset, welches nur der innerbetrieblichen Kommunikation dient, keine technische Überwachungseinrichtung darstellt. Das BAG geht dagegen von einem Mitbestimmungsrecht aus, hält aber den örtlichen Betriebsrat nicht für zuständig. Mit dem Gesamtbetriebsrat hat der Arbeitgeber jedoch die einschlägige Gesamtbetriebsvereinbarung zur „Einführung und Anwendung von IKT-Systemen“ vereinbart.

Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 08.12.2024

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