Urteile
Schulung von Mitgliedern des Betriebsrats kurz vor Ende der Amtszeit
Orientierungssätze
2026 werden turnusmäßig Betriebsräte gewählt. Für die meisten Betriebsratsmitglieder bricht das letzte Jahr ihrer Amtszeit an. Auf Schulungen müssen sie deshalb aber nicht verzichten. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits 2008 entschieden. Es kommt nur darauf an, dass die Schulung erforderlich ist. Vermittelt ein Seminar unverzichtbare Grundkenntnisse etwa im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung, muss der Betriebsrat bei Mitgliedern in der ersten Amtszeit grundsätzlich nicht darlegen, dass es einen betriebsbezogenen Schulungsbedarf gibt. Das gilt aber dann nicht, wenn die Schulung erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfindet und abzusehen ist, dass das Mitglied bis zum Ablauf der Amtszeit die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Grundkenntnisse nicht mehr einsetzen kann.
Gericht
Bundesarbeitsgericht vom 07.05.2008Aktenzeichen
7 AZR 90/07
Der Rechtsstreit
Ein technischer Angestellter hat seinen Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung von Arbeitsentgelt verklagt. Er war seit 2002 Mitglied des Betriebsrats. Während der ersten Amtszeit hatte der Angestellte an mehreren Schulungsveranstaltungen teilgenommen. Der Betriebsrat beschloss am 3. Februar 2005, ihn und ein weiteres Betriebsratsmitglied zum Wochenseminar „BR I (Teil 1)“ vom 10.– 15. April 2005 und zum Wochenseminar „BR II (Teil 2)“ vom 16.– 21. Oktober 2005 zu entsenden. Diesen Beschluss hat der Betriebsrat dem Arbeitgeber mitgeteilt. Dieser zahlte dem Angestellten für die Zeit seiner Teilnahme an der Schulungsveranstaltung „BR I (Teil 1)“ das Arbeitsentgelt und übernahm die anfallenden Seminarkosten.
Für die Teilnahme am Seminar „BR II (Teil 2)“ hat der Betriebsrat am 15. September 2005 erneut einen Entsendebeschluss gefasst und diesen dem Arbeitgeber zugestellt. Die Teilnahme hielt der Arbeitgeber aufgrund der bereits im März 2006 anstehenden Betriebsratswahl nicht für erforderlich.
Der Arbeitgeber zahlte die während der Schulung ausgefallene Arbeitszeit nicht, weil er sie nicht für erforderlich hielt
Der Angestellte nahm trotzdem in der Zeit vom 16.– 21. Oktober 2005 an dem Seminar teil. Schwerpunktthemen des Seminars waren die Mitwirkungsrechte in personellen Angelegenheiten nach den §§ 92–102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), wobei am dritten und an einem Teil des Vormittags des vierten Seminartags das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG behandelt wurde.
Der Arbeitgeber zahlte das Arbeitsentgelt für die Zeit der Teilnahme an der Schulung nicht und zog zusätzlich noch Stunden vom Arbeitszeitkonto ab. Hiergegen klagte der Angestellte. Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht (LAG) unterlag er allerdings. Die Gerichte waren der Auffassung, dass zwar die Teilnahme von erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedern an einer Grundlagenschulung im Betriebsverfassungsrecht ohne nähere Darlegung eines aktuellen betriebsbezogenen Anlasses als erforderlich angesehen werden könne. Bei einer Schulungsmaßnahme, die im letzten Halbjahr der Amtszeit stattfände, könne auf eine konkretere Darlegung der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme aber nicht verzichtet werden.
Hiergegen hatte der Angestellte Revision vor dem BAG eingelegt. Das Gericht hatte der Revision stattgegeben.
Der Betriebsrat muss bei Mitgliedern in der ersten Amtszeit für die Schulung von Grundkenntnissen grundsätzlich keinen betriebsbedingten Schulungsbedarf nachweisen
Es wies darauf hin, dass nach dem Gesetz Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien seien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich sei. Der Anspruch auf Vergütungsfortzahlung setze voraus, dass das Betriebsratsmitglied während der Zeit der Arbeitsbefreiung gesetzliche Aufgaben des Betriebsrats wahrnehme. Außerdem müsse die Arbeitsbefreiung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich sein.
Das Gesetz bestimme zudem, dass ein Betriebsratsmitglied für die Zeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung einen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung habe, soweit diese Kenntnisse vermitteln würde, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich seien. Wenn es sich dabei um Grundkenntnisse handeln würde, durch die das Betriebsratsmitglied erst in die Lage versetzt werden soll, seine sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen, sei ohne besondere Darlegung davon auszugehen, dass sie vom Betriebsratsmitglied entweder alsbald oder zumindest demnächst benötigt würden, um die Betriebsratsaufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können.
Ausnahmsweise muss der Betriebsrat den betriebsbedingten Schulungsbedarf nachweisen, wenn er davon ausgehen kann, dass das Mitglied bis zum Ende der Amtszeit die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Grundkenntnisse nicht mehr einsetzen kann
Davon gäbe es zwei Ausnahmen. Eine bestünde, wenn das Mitglied zum Zeitpunkt des Betriebsratsbeschlusses bereits über Vorkenntnisse verfüge. Zudem habe der Betriebsrat den betriebsbezogenen Schulungsbedarf darzulegen, wenn die Schulung erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfände und der Betriebsrat zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung absehen könne, dass das Mitglied bis zum Ablauf der Amtszeit die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Grundkenntnisse nicht mehr einsetzen könne.
Das BAG legte zunächst dar, dass entgegen der Auffassung des LAG im Seminar „BR II (Teil 2)“ Grundkenntnisse im Bereich der personellen Mitbestimmung des Betriebsrats vermittelt worden seien, für deren Erforderlichkeit eine besondere Darlegung nicht nötig sei. Bei der Veranstaltung seien überwiegend Themen aus dem Bereich der personellen Angelegenheiten behandelt worden, bei denen der Betriebsrat nicht von ausreichenden Vorkenntnissen des Klägers habe ausgehen können.
Die Schulungsveranstaltung ist in der Regel auch insgesamt erforderlich, wenn das Mitglied bereits über Teilkenntnisse verfügt
Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Angestellte aufgrund vorheriger Schulungen bereits teilweise über Kenntnisse verfüge, die auf dem Seminar vermittelt würden. Grundsätzlich sei die Erforderlichkeit für eine Schulungsveranstaltung einheitlich zu bewerten. Eine nur teilweise erforderliche Schulung für die Tätigkeit eines Betriebsratsmitglieds käme nur dann in Betracht, wenn die unterschiedlichen Themen so klar voneinander abgegrenzt seien, dass ein zeitweiser Besuch der Schulungsveranstaltung möglich und sinnvoll sei. Sei eine Aufteilung der Schulungsveranstaltung und ein zeitweiser Besuch praktisch nicht möglich, entscheide über die Erforderlichkeit der Gesamtschulung, ob die erforderlichen Themen mit mehr als 50 % überwögen.
Das LAG habe zudem verkannt, dass der Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum habe, wenn er beurteile, ob eine Schulung erforderlich sei. Dabei sei maßgeblich, ob der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung am 15. September 2005 habe davon ausgehen können, dass der Angestellte die Kenntnisse, die im Seminar vermittelt würden, voraussichtlich bis zum Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2006 noch benötige. Deshalb sei es ohne Bedeutung, dass der Arbeitgeber von Oktober 2005 bis zum Ende der Amtszeit des Betriebsrats keine Kündigungen oder Einstellungen bzw. Versetzungen vorgenommen habe. Dieser Umstand hätte vom LAG nur dann berücksichtigt werden können, wenn der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung am 15. September 2005 hätte davon ausgehen können, dass entsprechende Beteiligungssachverhalte und auch andere personelle Angelegenheiten bis zum Amtszeitende des Klägers voraussichtlich nicht anfallen würden. Dies habe aber selbst die Beklagte nicht vorgetragen.
Der Kommentar
Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. So regelt es das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in § 37 Absatz 1. Das Gesetz bestimmt zudem, wie viele Mitglieder des Betriebsrats mindestens von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen sind (§ 38 BetrVG). Die übrigen Mitglieder sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist (§ 37 Absatz 2 BetrVG).
Das gilt entsprechend für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind (§ 37 Absatz 6 BetrVG). Das Gesetz geht grundsätzlich davon aus, dass Betriebsratstätigkeit einschließlich Schulungen während der Arbeitszeit stattfinden. Wenn aus betriebsbedingten Gründen die Tätigkeit oder die Schulung außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts (§ 37 Absatz 3 i.V.m. § 37 Absatz 6 Satz 1 BetrVG).
In der Schulung im Oktober 2005 wurden arbeitsrechtliche Grundkenntnisse vermittelt
Das ist der rechtliche Rahmen, innerhalb dem der vorliegende Fall beurteilt werden muss. Unterschieden werden muss zwischen den hier gemeinten Schulungs- und Bildungsveranstaltungen noch von Veranstaltungen, auf die nach § 37 Absatz 7 BetrVG Anspruch besteht. Insoweit hat jedes Mitglied des Betriebsrats während seiner regelmäßigen Amtszeit Anspruch auf bezahlte Freistellung für insgesamt drei Wochen – „Neumitglieder“ sogar für vier Wochen – zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes nach Beratung mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände als geeignet anerkannt sind.
Im vorliegenden Fall ging es um eine Schulungsveranstaltung gemäß § 37 Absatz 6 BetrVG. Auf dieser Veranstaltung wurden arbeitsrechtliche Grundkenntnisse vermittelt, die jedes Mitglied unabhängig von den Gegebenheiten in seinem Beschäftigungsbetrieb beherrschen sollte.
Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen Veranstaltungen, die solche Grundkenntnisse vermitteln und Schulungsveranstaltungen, bei denen ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für die Annahme bestehen muss, dass die auf der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann. In diesem Fall muss der Betriebsrat den Schulungsbedarf des Mitglieds, das er entsenden will, gesondert darlegen.
Unverzichtbares Grundwissen für die Ausübung des Betriebsratsamts ist bei Betriebsratsmitgliedern in der ersten Amtszeit grundsätzlich erforderlich
Bei Schulungsveranstaltungen, auf denen das für die Ausübung des Betriebsratsamts unverzichtbare Grundwissen vermittelt wird, ist auch ohne besondere Darlegung davon auszugehen, dass sie vom Betriebsratsmitglied entweder alsbald oder zumindest demnächst benötigt werden. Unverzichtbar ist das Grundwissen, wenn es um Kenntnisse geht, die das Mitglied eines Betriebsrats wegen der „mit der Betriebsratsarbeit typischerweise verbundenen Aufgabenstellung“ benötigt. Dazu gehören nach ständiger Rechtsprechung des BAG Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung.
Anders als bei Seminaren nach § 37 Absatz 7 BetrVG, der als Anspruch der einzelnen Betriebsratsmitglieder ausgestaltet ist, handelt es sich bei den Schulungsveranstaltungen nach § 37 Absatz 6 BetrVG um einen normierten Anspruch des Betriebsrats auf Entsendungvon Betriebsratsmitgliedern zu Schulungs- und Bildungsveranstaltungen. Deshalb ist insoweit auch ein ordnungsgemäßer Entsendungsbeschluss des Betriebsrats erforderlich.
Im vorliegenden Fall spielte in den Vorinstanzen auch eine Rolle, ob der Entsendungsbeschuss des Betriebsrats vom 15. September 2005 überhaupt ordnungsgemäß war. Wie jeder Betriebsratsbeschluss ist ein Entsendungsbeschluss nur wirksam, wenn er in einer Betriebsratssitzung gefasst worden ist, zu der die Mitglieder des Betriebsrats rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung geladen worden sind. Davon ist das BAG allerdings im Gegensatz zum LAG ausgegangen.
Geklagt hatte in unserem Fall ein technischer Angestellter, der in der ersten Amtszeit Mitglied des Betriebsrats war. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit einer Schulung, auf der Grundkenntnisse im Bereich der personellen Mitbestimmung vermittelt wurden. Er meinte, die Veranstaltung sei nicht erforderlich, weil etwa fünf Monate nach der Schulung die Amtszeit des Betriebsrats beendet sei und bis dahin keine personellen Maßnahmen im Betrieb vorgesehen seien.
Der Betriebsrat hat einen Beurteilungsspielraum für die Frage, ob eine Schulungsmaßnahme erforderlich ist
Auch das BAG ist der Auffassung, dass eine Schulung möglicherweise nicht erforderlich ist, wenn sie erst kurz vor dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats stattfindet. Das ist dann der Fall, wenn der Betriebsrat zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung absehen kann, dass das Mitglied bis zum Ablauf der Amtszeit die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Grundkenntnisse nicht mehr einsetzen kann. Nach früheren Entscheidungen des BAG musste der Betriebsrat in einem solchen Fall stets darlegen, warum das Betriebsratsmitglied der Schulung im Hinblick auf die konkrete Situation des Betriebs und die auf den Betriebsrat für den Rest seiner Amtszeit noch zukommenden Aufgaben bedarf.
Mit der Entscheidung vom 7. Mai 2008 hat das BAG diese Rechtsprechung aufgegeben. Und zwar mit Recht in Hinblick auf den Beurteilungsspielraum, der dem Betriebsrat rechtlich zukommt. Er beurteilt, ob eine Schulung erforderlich ist. Es kommt darauf an, dass zu dem Zeitpunkt, in dem der Betriebsrat den Entsendungsbeschluss fasst, er davon ausgehen konnte, dass die in der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse bis zum Ende der Amtszeit noch benötigt werden könnten. Maßgeblich ist insoweit also nicht der Zeitpunkt, an dem die Schulung stattfindet, sondern der Zeitpunkt, an dem der Betriebsrat seinen ordnungsgemäßen Beschluss fasst, also am 15. September 2005. Wenn der Betriebsrat zu diesem Zeitpunkt hätte davon ausgehen können, dass personelle Angelegenheiten bis zum Amtszeitende des Klägers voraussichtlich nicht anfallen werden, wäre die Schulung nicht erforderlich gewesen. Dazu hatte der Arbeitgeber allerdings nichts vorgetragen. Es wäre auch unwahrscheinlich, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt überhaupt schon vorhersehbar war, inwieweit personelle Entscheidungen anstehen könnten. Man denke etwa an etwaige verhaltensbedingte Kündigungen.
Die Entscheidung ist schon sehr alt und wir haben seinerzeit bereits über sie berichtet. Gleichwohl ist sie in Hinblick auf die im nächsten Jahr anstehenden Betriebsratswahlen nach unserer Auffassung interessant und aktuell.
Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 25.02.2025
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