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Urteile

Sozialplanabfindungen: Schriftform erforderlich

Orientierungssätze

1. Die mündliche Zusage durch den Geschäftsführer einer Arbeitgeberin in einer Betriebsratssitzung, an Gewerkschaftsmitglieder höhere Abfindungen zahlen zu wollen, begründet mangels Einhaltung der für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erforderlichen Schriftform (§ 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG) keinen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer/-innen auf Zahlung einer höheren Abfindung als im Sozialplan vereinbart.

2. Ebenso stellt die Äußerung der Geschäftsführerin der Gewerkschaft NGG auf einer Betriebsversammlung mangels einer Bevollmächtigung durch die Arbeitgeberin keine Gesamtzusage auf Zahlung einer solchen erhöhten Abfindung dar.

  • Gericht

    Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 29.06.2022
  • Aktenzeichen

    1 Sa 991/21

Der Rechtsstreit

Die Klägerin war seit dem 03.04.2000 bei der Beklagten beschäftigt, einer Servicegesellschaft aus dem Bereich der Luftfahrt. Im Zuge der zweiten größeren Personalanpassungsmaßnahme wurde ihr Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 30.06.2020 gekündigt.

Bereits 2017 hatte die Beklagte einen Personalabbau durchgeführt. Nach dem seinerzeit vereinbarten Sozialplan vom 06.12.2017 berechnete sich die Abfindung für die gekündigten Arbeitnehmer/-innen wie folgt: „Betriebszugehörigkeit x Monatsbrutto x 0,9“. Außerdem war – mündlich – vereinbart worden, dass Mitglieder der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen erhöhten Abfindungsfaktor von 1,0 erhalten, wenn sie keine Kündigungsschutzklage erheben.

Im Rahmen der zweiten Personalanpassung im Jahr 2019 hat die Beklagte mit ihrem Betriebsrat im Interessenausgleich vom 10.12.2019 vereinbart, dass der bereits bestehende Sozialplan vom 06.12.2017 auch hierfür Anwendung findet. Auf der Grundlage einer weiter abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zur Kündigungsabwicklung sollten die Beschäftigten zusätzlich zur Sozialplanabfindung 5.000 Euro erhalten, wenn sie keine Kündigungsschutzklage erheben.

Nach Auszahlung der Abfindung auf der Basis eines Abfindungsfaktors von 0,9 verlangt die Klägerin mit ihrer Klage einen um den Faktor 0,1 erhöhten Abfindungsbetrag. Sie behauptet, sie sei Mitglied der Gewerkschaft NGG. Der Geschäftsführer der Beklagten habe im Rahmen einer Betriebsratssitzung am 18.09.2019 zugesagt, dass die Gewerkschaftsmitglieder wie im Jahr 2017 einen erhöhten Abfindungsbetrag erhalten würden. Am 23.09.2019 habe zudem die Geschäftsführerin der NGG die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung über diese Vereinbarung informiert und der anwesende Geschäftsführer der Beklagten habe dazu geschwiegen. Die Beklagte bestreitet mit Nachdruck, eine höhere Sozialplanabfindung für Gewerkschaftsmitglieder zugesagt zu haben.

Die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf hat ebenso wie das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Gewerkschaftsmitglieder haben selbst auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin keinen Anspruch auf eine um den Faktor 0,1 erhöhte Sozialplanabfindung. Etwaige Erklärungen der Arbeitgeberin in der Betriebsratssitzung vom 18.09.2019 haben sich allenfalls an den Betriebsrat gerichtet. Mangels Einhaltung der für Betriebsvereinbarungen erforderlichen Schriftform (§ 77 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BetrVG) kann die von der Beklagten bestrittene Zusage zu keinen Rechtsansprüchen der Arbeitnehmer/-innen führen. Die Äußerung der Geschäftsführerin der NGG auf der Betriebsversammlung ist keine begünstigende Gesamtzusage. Denn eine Gesamtzusage ist die an alle Beschäftigten des Betriebs oder an einen bestimmten Teil von ihnen gerichtete ausdrückliche Erklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Daran fehlt es. Der Geschäftsführer der Beklagten hat zu dem entscheidenden Punkt geschwiegen. Darin liegt keine Willenserklärung. Es ist nicht erkennbar, dass die Geschäftsführerin der NGG als Vertreterin der Beklagten aufgetreten ist und rechtsverbindliche Erklärungen für sie abgegeben hat. Sie hat in der Betriebsversammlung nur eigene Erklärungen abgegeben, aber nicht im Namen der Beklagten gehandelt. Auch die Voraussetzungen einer Vollmacht sind nicht gegeben.

Das Landesarbeitsgericht hat in sieben weiteren verbundenen Sachen die Klagen abgewiesen. Die Revision ist nicht zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 9/22 des LAG Düsseldorf vom 29.06.2022

Der Kommentar

Hier handelt es sich um einen besonderen Einzelfall, bei welchem im Rahmen von Sozialplanverhandlungen anscheinend mündliche Aussagen zur Abfindungshöhe von Gewerkschaftsmitgliedern gegenüber dem Betriebsrat und gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getroffen worden sind.

Dabei hat der Geschäftsführer der Beklagten anscheinend in einer Betriebsratssitzung eine solche Aussage getroffen, die aber mangels Einhaltung der für eine Betriebsvereinbarung erforderlichen Schriftform nicht rechtswirksam war. Zusätzlich hat dann die Geschäftsführerin der zuständigen Gewerkschaft in einer Betriebsversammlung eine entsprechende Erklärung abgegeben. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin hat in der Betriebsversammlung zu dieser Aussage geschwiegen. Da die Gewerkschaftsvertreterin schon mangels einer entsprechenden Vollmacht der Arbeitgeberin nicht rechtswirksam für sie tätig werden konnte, wurde diese auch nicht durch diese Aussage zur Zahlung von erhöhten Abfindungen an Gewerkschaftsmitglieder verpflichtet. Das Schweigen des Geschäftsführers der Arbeitgeberin stellt keine Willenserklärung dar und kann daher auch nicht als Zustimmung gewertet werden.

Dieser Fall zeigt, dass eine konkrete Regelung im Sozialplan erforderlich gewesen wäre und mündliche Aussagen oder Absichtserklärungen keine Ansprüche aus einem Sozialplan begründen können.

Zusammengestellt und kommentiert von Dr. N. Nießen, Düsseldorf, 02.08.2022

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