Urteile
Befristetes Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds
Orientierungssätze
Ist das Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds nach den Regeln des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zulässig befristet, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Befristung. Benachteiligt der Arbeitgeber allerdings das befristet beschäftigte Betriebsratsmitglied, indem er diesem wegen des Betriebsratsmandats keinen Folgevertrag anbietet, hat das Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf den Abschluss des verweigerten Folgevertrags als Schadensersatz.
Gericht
Bundesarbeitsgericht vom 18.06.2025Aktenzeichen
7 AZR 50/24
Der Rechtsstreit
Ein Arbeitnehmer ist als Sortierer bei einem Tochterunternehmen von Amazon befristet beschäftigt. Das Unternehmen erbringt logistische Dienstleistungen für Amazon. Anfang des Jahres 2021 vereinbarten Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein zunächst auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis, welches später um ein weiteres Jahr bis zum 14. Februar 2023 verlängert wurde.
Im Sommer 2022 wurde er auf der ver.di-Liste in den Betriebsrat gewählt.
Von 19 Arbeitnehmenden des Unternehmens, die einen am 14. Februar 2023 auslaufenden befristeten Arbeitsvertrag hatten, erhielten 16 das Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags ohne vereinbarte Befristung. Der Sortierer erhielt dieses Angebot nicht.
Die unterbliebene Entfristung soll mit der Betriebsratstätigkeit in Zusammenhang stehen
Mit seiner Klage hat er sich gegen die Wirksamkeit der Befristung gewandt und hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zum Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags ab dem 15. Februar 2023 zu den bisherigen Bedingungen verlangt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Auch vor dem Bundesarbeitsgericht hatte der Arbeitnehmer keinen Erfolg. Er hat vorgetragen, dass die unterbliebene Entfristung seines Arbeitsverhältnisses allein auf seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat beruhe. Zwar habe das Unternehmen mit anderen Betriebsratsmitgliedern unbefristete Arbeitsverhältnisse vereinbart, diese hätten aber anders als der Kläger nicht auf der Gewerkschaftsliste für den Betriebsrat kandidiert.
Das Unternehmen hat sich demgegenüber darauf berufen, dass es mit der Arbeitsleistung und dem persönlichen Verhalten des Arbeitnehmers nicht zufrieden gewesen sei, dass es das Arbeitsverhältnis habe unbefristet fortführen wollen. Die Betriebsratstätigkeit habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.
BAG: Die Wahl eines befristet beschäftigten Arbeitnehmers in den Betriebsrat bedingt keine Unwirksamkeit der Befristung
Das BAG hat entschieden, dass die Wahl eines befristet beschäftigten Arbeitnehmers in den Betriebsrat keine Unwirksamkeit der Befristung bedinge. Eine solche Annahme sei auch durch das Recht der Europäischen Union nicht zwingend vorgegeben. Das einzelne Betriebsratsmitglied sei durch die Vorschrift des § 78 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), wonach es in der Ausübung seiner Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden darf, hinreichend geschützt. Beim BAG habe sich nach Anhörung der Parteien die Überzeugung gebildet, dass das Unternehmen dem Arbeitnehmer den Abschluss eines unbefristeten Folgevertrags nicht wegen dessen Betriebsratstätigkeit verweigert habe. Deshalb habe der Arbeitnehmer auch keinen Anspruch auf einen Folgevertrag als Schadensersatz.
Der Kommentar
Das BAG folgt mit dieser Entscheidung seiner bisherigen Rechtsprechung. Bereits 2012 hat das Gericht mit Blick auf das Europarecht entschieden, dass § 14 Absatz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) europarechtskonform sei. Nach dieser Vorschrift ist es zulässig, ein Arbeitsverhältnis ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zu befristen. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH müssen die nationalen Gerichte das innerstaatliche Recht soweit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie unionsrechtskonform auslegen, um das in ihr festgestellte Ergebnis zu erreichen.
Die Grundrechtecharta der EU regelt u.a. den Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung
Maßgeblich ist hier zum einen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Artikel 30 verpflichtet die Mitgliedstaaten, jeder*m Arbeitnehmer*in einen Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung zu gewähren. Schließlich gibt es noch eine Richtlinie, die einen allgemeinen Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer*innen in der Europäischen Union vorschreibt. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmendenvertreter*innen bei der Ausübung ihrer Funktion einen ausreichenden Schutz und ausreichende Sicherheiten genießen, die es ihnen ermöglichen, die ihnen übertragenen Aufgaben in angemessener Weise wahrzunehmen.
Das BAG kommt nach ständiger Rechtsprechung zu der Auffassung, dass bei § 14 Abs. 2 TzBfG kein Korrekturbedürfnis bestehe. Das Fehlen einer Einschränkung einer Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes für den Fall der Mitgliedschaft im Betriebsrat stelle keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes dar.
Es ist nicht einfach, eine Benachteiligung wegen Gewerkschaftsmitgliedschaft zu beweisen
Keine Ausführungen macht das BAG (jedenfalls nicht in der bislang vorliegenden Pressemitteilung) zu dem Umstand, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers offensichtlich mit Blick auf dessen Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht entfristet worden ist. Andere Betriebsratsmitglieder, die nicht auf der ver.di-Liste kandidiert hatten, sind übernommen worden. Die Einstellung des Amazon-Bosses Jeffrey Preston „Jeff“ Bezos zu Gewerkschaften dürfte ja gerichtsbekannt sein.
Bereits das LAG meinte in zweiter Instanz, dass der Tatbestand der objektiven Benachteiligung wegen Zugehörigkeit zu einer gewerkschaftlichen Liste nicht schlüssig dargestellt worden sei. Da sind wir aber in der Tat auf einem schwierigen Feld. Zwar könnte man hier – wie im Kündigungsschutzprozess – eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers unterstellen, wenn die*der Beschäftigte eine Benachteiligung wegen der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft behauptet.
Insoweit wäre der Arbeitgeber zwar zur Wahrheit verpflichtet (§ 138 Zivilprozessordnung – ZPO). Es ist aber schwierig nachzuweisen, dass der Arbeitgeber die Unwahrheit sagt. Zumindest braucht es eine substantiierte Darlegung durch die*den Arbeitnehmer*in hinsichtlich der konkreten Verhältnisse im Betrieb, die eine Benachteiligung nahelegen.
Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 30.06.2025
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