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Urteile

Urlaub verfällt nicht, wenn das im Arbeitsvertrag so vereinbart wird

Orientierungssätze

Urlaub muss grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verfällt der Urlaub frühestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres. Im Arbeitsvertrag kann geregelt werden, dass der Urlaub gar nicht verfällt. Bei Formulararbeitsverträgen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen sind. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis ist zudem der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten.

  • Gericht

    Bundesarbeitsgericht vom 15.07.2025
  • Aktenzeichen

    9 AZR 198/24

Der Rechtsstreit

Es geht um eine Pflegekraft, die bei einem einer Kirche nahestehenden Verein zu einem Arbeitsentgelt von zuletzt 3.053,00 € brutto monatlich beschäftigt war. Vom 31. Juli 2015 bis 30. Juni 2023 war sie durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Danach war das Arbeitsverhältnis beendet. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch Ansprüche auf Urlaub aus den Jahren 2016 bis 2021.

Für das Arbeitsverhältnis gelten vom Arbeitgeber festgelegte Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR). Sie dienen als Leitfaden für die Gestaltung von Arbeitsverträgen und enthalten Musterformulierungen und Regelungen zu verschiedenen arbeitsvertraglichen Aspekten, wie zum Beispiel Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsentgelt, Urlaub, Kündigung und andere Vertragsbedingungen.

Nach Auffassung der Arbeitnehmerin ist der gesetzliche Mindesturlaub nicht verfallen
Mit Schreiben vom 14. Juli 2023 forderte die Pflegekraft ihren Arbeitgeber auf, den Resturlaub in Höhe des ihr zustehenden gesetzlichen Urlaubsanspruchs zu vergüten. Das war immerhin ein Betrag von 16.908,92 €.

Sie hat die Auffassung vertreten, der gesetzliche Mindesturlaub, den sie wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis Ablauf des Übertragungszeitraums am 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres nicht habe in Anspruch nehmen können, würde aufgrund einer besonderen Vereinbarung im Arbeitsvertrag nicht verfallen. Dort ist zum Urlaub u.a. geregelt:

Ist die Mitarbeiterin infolge einer ärztlich nachgewiesenen, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit daran gehindert, den übertragenen Urlaub bis zum 30. April des Folgejahres zu nehmen, besteht der Urlaubsanspruch auch über den Übertragungszeitraum hinaus fort, allerdings maximal bis zur Höhe des noch bestehenden gesetzlichen Urlaubsanspruchs.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, die im Streit stehenden Urlaubsansprüche seien spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Nach der Rechtsprechung verfalle nämlich der Urlaubsanspruch 15 Monate nach dem jeweiligen Urlaubsjahr. Das sei durch die Regelung im Arbeitsvertrag nicht ausgeschlossen.

Die Parteien hätten unmissverständlich die „Geltung der AVR“ vereinbart, bei deren Anwendung der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub im Falle einer langanhaltenden Erkrankung der Arbeitnehmerin mit Ablauf der von der Rechtsprechung entwickelten 15-Monatsfrist verfalle.

Die Parteien haben den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs wirksam vertraglich ausgeschlossen
Das Arbeitsgericht hat die Klage der Pflegekraft abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab ihr dagegen recht. Der Arbeitgeber hat gegen das Urteil Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt.

Das BAG schloss sich dem Urteil des LAG an. Die Urlaubsansprüche seien nicht aufgrund der langandauernden Erkrankung der Klägerin mit Ablauf von 15 Monaten nach Beendigung des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Eine Regelung, die diese Rechtsfolge anordne, finde auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Die Parteien hätten den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs wirksam vertraglich ausgeschlossen.

Zwar regele das Bundesurlaubsgesetz (§ 7 Abs. 3 BUrlG in seiner unionsrechtskonformen Auslegung), dass ein Urlaub, den ein*e Beschäftigte*r nicht wegen Krankheit nehmen konnte, 15 Monate nach Ende des entsprechenden Urlaubsjahres verfalle. Diese Regelung werde jedoch durch den Arbeitsvertrag verdrängt. Dies ergebe die Auslegung der Vertragsklausel.

Die Bestimmungen eines Formulararbeitsvertrages sind Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Bei den Bestimmungen des vorliegenden Arbeitsvertrags handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das ergibt sich aus dem Inhalt und dem äußeren Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung.

AGB seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Arbeitnehmer*innen verstanden würden. Ansatzpunkt für die Auslegung sei in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis seien ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten.

Die Vertragsklausel lasse insoweit keinen Zweifel. Sie bestimme, dass der aus dem Vorjahr übertragene Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den die Arbeitnehmerin infolge einer ärztlich nachgewiesenen, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 30. April des Folgejahres habe nehmen können, fortbestehe. Der gesetzliche Mindesturlaub bleibe damit im Falle einer Langzeiterkrankung über den Übertragungszeitraum hinaus bestehen. Ein späterer Verfallzeitpunkt sei nicht vorgesehen. Stattdessen ordne der Arbeitsvertrag an, dass der entsprechende Urlaub abzugelten sei, wenn er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses — unabhängig davon, wann diese eintritt — nicht genommen werden kann.

Eine Inhaltskontrolle findet bei Arbeitsverträgen mit uneingeschränkter Bezugnahme auf die AVR nicht statt, es sei denn, es liegen besondere Anhaltspunkte für eine Abweichung von den AVR vor
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) in den Arbeitsvertrag einbezogen seien und diese den Verfall entsprechend dem BUrlG regeln würden. Beziehe ein Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertag die bei ihm geltenden kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis ein, werde damit zwar für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach diesen Regelungen gestaltet werden soll. Nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte sei die Annahme gestattet, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine — konstitutive — Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen Arbeitsvertragsrichtlinien vereinbart werden.

Derartige besondere Anhaltspunkte für eine Abweichung von den Arbeitsvertragsrichtlinien seien vorliegend gegeben. Die AVR verzichteten auf eine mit dem Arbeitsvertrag vergleichbare Regelung, die gesetzliche Urlaubsansprüche im Fall einer langandauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom Verfall ausnehme. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die dazu im Arbeitsvertrag ausdrücklich getroffene Bestimmung diesen Sachverhalt abschließend regele.

Der Kommentar

Die Entscheidung betrifft zwei Rechtsprobleme, die für Arbeitnehmer*innen interessant sind: zum einen die Frage, was mit Urlaubsansprüchen geschieht, die Beschäftigte wegen Krankheit nicht realisieren konnten. Zum anderen berührt das Urteil auch ein Rechtgebiet, dass viele wohl nicht mit dem Arbeitsrecht in Verbindung sehen. Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), für die das BGB eine Reihe von exklusiven Rechtsfolgen vorsieht.

Hinsichtlich des Urlaubs ist vieles in Tarifverträgen geregelt, die den gesetzlichen Vorschriften dann vorangehen, wenn sie für die Arbeitnehmer*innen günstiger sind als das Gesetz. Gesetzlich findet sich eine Regelung in § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). In unserem Zusammenhang sind die Sätze zwei und drei im dritten Absatz dieser Vorschrift wichtig:

Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.

Urlaub, dessen Anspruch im Jahr 2024 entstanden ist, muss also bis März 2025 genommen werden. § 7 Absatz 4 BUrlG regelt, dass der Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.

Bis vor einigen Jahren setzte der Abgeltungsanspruch voraus, dass die*der Arbeitnehmer*in den Urlaub tatsächlich hätte nehmen können
Früher hat das BAG die Auffassung vertreten, dass der gesetzliche Anspruch auf Urlaubsabgeltung ein sogenanntes „Surrogat“, also ein Ersatz für den Urlaubsanspruch sei.    Dieser entstehe als Ersatz für die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr mögliche Befreiung von der Arbeitspflicht und sei deshalb an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch selbst. Der Urlaubsanspruch müsse daher erfüllbar sein. Daran fehle es, wenn die*der Arbeitnehmer*in arbeitsunfähig sei und deshalb im fortbestehenden Arbeitsverhältnis nicht von ihrer*seiner Arbeitspflicht befreit werden könnte. Nach dieser Rechtsprechung hätte die Pflegekraft keine Ansprüche mehr gehabt, weil sie ja in den letzten neun Jahren des Arbeitsverhältnisses durchgehend krank gewesen ist.

Auf Grundlage einer Richtlinie der Europäischen Union (Richtlinie 2003/88) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Januar 2009 entschieden, dass es Europäischem Recht widerspräche, wenn nach nationalen Vorschriften der Abgeltungsanspruch erlösche, weil die*der Arbeitnehmer*in den Urlaub wegen Krankheit nicht habe nehmen können. Für die Berechnung der entsprechenden finanziellen Vergütung sei das gewöhnliche Arbeitsentgelt der*des Arbeitnehmer*in maßgebend, das während der dem bezahlten Jahresurlaub entsprechenden Ruhezeit weiterzuzahlen sei (EuGH, Urteil vom 20. 1. 2009 – C-350/06 - Schultz-Hoff).

In einer Entscheidung vom November 2011 hat der EuGH dann seine Rechtsprechung „nuanciert“, wie das BAG es einmal ausgedrückt hat. Danach dürfen nationale Vorschriften bestimmen, dass der Abgeltungsanspruch 15 Monate nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen (EuGH, Urteil vom 22.11.2011 – C-214/10). Das ist der Hintergrund, wenn Arbeitsgerichte sich auf § 7 Abs. 3 BUrlG „in seiner unionsrechtskonformen Auslegung“ beziehen.

Der Wortlaut im Arbeitsvertrag war eindeutig
Im Juli 2023 (Geltendmachung durch die Pflegekraft) wäre nach dieser Rechtslage der Urlaub bis einschließlich des Urlaubsjahres 2021 verfallen. Die Pflegekraft hätte also nur Abgeltung für den gesetzlichen Urlaubsanspruch für eineinhalb Jahre beanspruchen können. Der Arbeitsvertrag sah aber vor, dass der Urlaubsanspruch bei andauernder Krankheit auch über den Übertragungszeitraum hinaus fortbesteht, allerdings maximal bis zur Höhe des noch bestehenden gesetzlichen Urlaubsanspruchs.

Hinsichtlich dieser Regelung im Arbeitsvertrag hat das BAG zu Recht erkannt, dass es sich hierbei um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) handelt. Insoweit gibt es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) einige Regeln, die den Vertragspartner des „Verwenders“ besonders schützen. Verwender ist bei vorformulierten Arbeitsverträgen in aller Regel der Arbeitgeber. Die*der Arbeitnehmer*in bekommt den weitestgehend fertigen Arbeitsvertrag nur zur Unterschrift vorgelegt. Im vorliegenden Fall war die Lösung freilich nicht kompliziert. Zu eindeutig ist der Wortlaut im Arbeitsvertrag.

Zweifel bei der Auslegung von Klauseln in vorformulierten Arbeitsverträgen gehen zu Lasten des Arbeitgebers
Interessant für Arbeitnehmer*innen als „Opfer“ vorformulierter Arbeitsverträge, dass diese als AGB einer Inhaltskontrolle unterliegen, wenn ein Arbeitsgericht einzelne Klauseln überprüft. Da gibt es zunächst die „Unklarheitenregel“ (§ 305c Absatz 2 BGB): Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders, also des Arbeitgebers. Unklar ist eine Klausel dann, wenn sie mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten besitzt.

Unwirksam sind darüber hinaus etwa Klauseln in Arbeitsverträgen, die die*den Beschäftigte*n unangemessen benachteiligen, die überraschend sind oder die mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren sind. Das Gesetz sieht etliche Klauselverbote mit und ohne Wertungsmöglichkeit vor (§§ 307 bis 309 BGB). Gewerkschaftsmitglieder können sich insoweit beraten lassen, wenn sie sich durch Klauseln in ihrem Arbeitsvertrag unangemessen benachteiligt fühlen.

Es gibt diesbezüglich jedoch einige Besonderheiten im Arbeitsrecht: Tarifverträge und Regelungen wie die AVR sind keine AGB und unterliegen auch keiner Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte. Das gilt auch, wenn sie in Arbeitsverträgen vereinbart wird, dass sie insgesamt gelten sollen. Etwas anderes gilt aber, wenn nur auf einzelne Regelungen der Tarifverträge Bezug genommen wird. Dann findet eine Inhaltskontrolle statt.

Zusammengestellt und kommentiert von Dietmar Christians, Ass. jur., Bremen, 23.09.2025

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