Im Lauf der Zeit haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet. In den folgenden Fällen wird meist ein Verhinderungsgrund im Sinne von § 616 BGB angenommen:
Krankheit und Arztbesuche
Krankheiten stellen zwar grundsätzlich einen in der Person liegenden Verhinderungsgrund dar, im Fall einer krankheitsbedingten Verhinderung findet das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) jedoch vorrangig vor § 616 BGB Anwendung. Etwas anderes gilt nur, wenn der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des EFZG nicht eröffnet ist. Das ist beispielsweise bei freien Mitarbeitern der Fall, mit der Folge, dass für sie § 616 BGB auch im Krankheitsfall Anwendung findet.
Bei Arztbesuchen während der Arbeitszeit muss differenziert werden:
1. Ist bereits während des Arztbesuchs eine Arbeitsunfähigkeit gegeben, richtet sich der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung allein nach dem EFZG.
2. Ist der Beschäftigte dagegen zum Zeitpunkt des Arztbesuchs nicht arbeitsunfähig erkrankt, liegt ein persönlicher Verhinderungsgrund nur dann vor, wenn der Arztbesuch medizinisch notwendig war, was bei akuten Beschwerden der Fall ist.
3. Handelt es sich um allgemeine Untersuchungs- und Behandlungstermine, für die keine unmittelbare ärztliche Versorgung angezeigt ist, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur dann, wenn der Arztbesuch nur während der Arbeitszeit stattfinden kann, zum Beispiel im Fall einer Blutabnahme im nüchternen Zustand. Für weitergehende Informationen verweisen wir auch auf unseren Praxistipp "Arztbesuch während der Arbeitszeit".
Pflege naher Angehöriger
Unvorhergesehene Kurzerkrankungen naher Angehöriger, die eine Pflege erforderlich machen, stellen ebenfalls ein persönliches Leistungshindernis im Sinne von § 616 BGB dar. Das gilt entsprechend § 45 SGB V insbesondere bei Kindern bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres. Aber auch bei Erkrankung älterer Kinder und anderer naher Angehöriger der häuslichen Gemeinschaft, wie Ehepartner, Lebenspartner, Eltern oder Geschwister, kann je nach Umständen ein persönliches Leistungshindernis angenommen werden. Maßgeblich ist immer, dass eine anderweitige Versorgungsmöglichkeit unter keinen Umständen realisierbar ist. (Lesen Sie hierzu auch unseren Praxistipp "Pflege eines kranken Kindes bzw. Angehörigen".) Sind beide Eltern eines erkrankten Kindes berufstätig, können die Eltern selber entscheiden, wer von ihnen die Pflege des erkrankten Kindes übernimmt. Als Rechtsgrundlage für eine Freistellung kommt auch § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) in Betracht. Hiernach haben Eltern das Recht bis zu 10 Tage im Jahr von der Arbeit fernzubleiben, soweit dies zur Pflege von nahen Angehörigen erforderlich ist. Das Pflegezeitgesetz regelt allerdings nur die Freistellung und verpflichtet den Arbeitgeber nicht zur Zahlung des Lohns. Dies regelt sich wiederum nach § 616 BGB.
Familiäre Ereignisse
Auch herausragende familiäre Ereignisse können einen persönlichen Verhinderungsgrund im Sinne des § 616 BGB darstellen. Zu derartigen familiären Ereignissen zählen u.a.
- die eigene Hochzeit
- die Hochzeit der Kinder sowie der Eltern oder eines Elternteils
- die goldene Hochzeit der Eltern
- die Niederkunft der Ehefrau und der in häuslicher Gemeinschaft lebenden Partnerin
- religiöse Feste wie Erstkommunion oder Konfirmation
- Begräbnisse im engen Familienkreis (Eltern, Kinder, Geschwister) oder von im Haushalt lebenden Angehörigen
- persönliche Unglücksfälle wie Wohnungsbrand oder Einbruch.
Umzug
Ein Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 616 BGB aufgrund eines Umzugs besteht nur, wenn der Umzug objektiv notwendig war und es der/dem Beschäftigten nicht zuzumuten war, diesen in der Freizeit durchzuführen. Das kann der Fall sein, wenn der Umzug aufgrund betrieblicher Gründe vom Arbeitgeber veranlasst wurde.
Öffentliche Pflichten, Vorladungen
Die Wahrnehmung amtlicher Termine kann ebenfalls zu einem persönlichen Hinderungsgrund führen, beispielsweise, wenn die/der Beschäftigte einer gerichtlichen oder behördlichen Vorladung während der Arbeitszeit nachkommen muss. Handelt es sich bei dem behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren jedoch um eine private Angelegenheit des Beschäftigten bzw. dient das Verfahren der Durchsetzung seiner eigenen Rechte, ist ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur dann gegeben, wenn das Gericht das persönliche Erscheinen des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin angeordnet hat. Das gleiche gilt für einen gegen den Arbeitgeber geführten arbeitsgerichtlichen Prozess.
Ehrenämter
Bei einer Kollision zwischen der Arbeitspflicht und der Pflicht aus ehrenamtlicher Tätigkeit ist ebenfalls zu differenzieren. Pflichten als ehrenamtliche/-r Richterin/Richter und in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung stellen eine persönliche Verhinderung i.S.v. § 616 BGB dar. Andere Ehrenämter, beispielsweise die Wahrnehmung von Aufgaben in privaten Vereinen, wozu auch Tätigkeiten für die Gewerkschaft zählen, begründen in der Regel keinen bezahlten Freistellungsanspruch. Jedoch gibt es häufig tarifliche Regelungen oder andere Vereinbarungen zwischen den Tarifvertragsparteien, die Teilnahmerechte an Veranstaltungen wie Tarifkommissionssitzungen u.a. regeln.
Quarantäne
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 20. Juli 1977 – 5 AZR 325/76) sind alle Fälle der kurzzeitigen Verhinderung außerhalb des Rechts und der Anspruch der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einheitlich nach § 616 Abs. 1 BGB zu beurteilen. Dies gilt auch für den Fall der durch eine Behörde angeordneten Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Dauert die Quarantäne länger an, hat der Arbeitgeber einen Erstattungsanspruch nach § 56 Abs. 5 IfSG gegenüber den jeweiligen Landesbehörden. Nach § 56 Abs. 5 IfSG bemisst sich die Entschädigung für die ersten sechs Wochen einer Quarantäne nach dem Verdienstausfall des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin, also nach dem Netto-Arbeitsentgelt. Vom Beginn der siebten Woche an richtet sich die Entschädigung nach der Höhe des Krankengeldes. Fristen und Formalitäten der Antragstellung regeln die jeweiligen Landesbehörden, z.B. Sachsen (https://www.lds.sachsen.de/soziales/?ID=15508&art_param=854) oder Bayern (https://www.regierung.niederbayern.bayern.de/aufgabenbereiche/5g/rechtsfragen/entschaedigung_ifsg/index.php)
Tipp: Unverzüglich Kontakt mit dem Arbeitgeber aufnehmen, mitteilen für welchen Zeitraum die Quarantäne angeordnet wurde und klären, ob z.B. eine Homeoffice-Tätigkeit möglich ist.
Kinderbetreuung aufgrund der Schließung von Kindertagesstätten und Schulen
Eltern haben die Pflicht und das Recht, sich um ihre minderjährigen Kinder zu kümmern. Dagegen steht die Pflicht zur Erfüllung der Arbeitsleistung aus dem Arbeitsvertrag. Allerdings geht die Sorgepflicht um das Kind der Arbeitspflicht vor. Die Eltern sind aber grundsätzlich verpflichtet, alles zu versuchen, um das Kind anderweitig unterzubringen. Gelingt dies nicht, liegt ein Verhinderungsgrund nach § 616 BGB vor. Für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit existiert dann ein Anspruch auf bezahlte Freistellung.
Tipp: Auch hier unverzügliche Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber und Klärung der weiteren Maßnahmen.
Sonderregelung für Beschäftigte im Geltungsbereich des öffentlichen Dienstes: Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hat die Möglichkeit zur Entgeltfortzahlung bei Arbeitsbefreiung wegen Kinderbetreuung ausgeweitet: Hier geht es zur Pressemitteilung des VKA.
Betriebsschließung aufgrund von behördlicher Gebiets- oder Aufenthaltssperren
Liegt der Betrieb bzw. Arbeitsort in einem von der Sperrung betroffenen Gebiet, hat der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen (§ 615 BGB). Das sogenannte Betriebsrisiko, den Betrieb nicht weiterbetreiben zu können, liegt nämlich beim Arbeitgeber, und die Ansprüche auf Vergütung bleiben in diesen Fällen bestehen.
Wohnt der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin selbst in einem von einer behördlichen Sperrung betroffenen Gebiet und kommt keine Homeoffice-Tätigkeit in Betracht, besteht unter den Voraussetzungen des § 616 BGB ein Anspruch auf Vergütung.